mardi 19 mai 2009

Aprildemonstrationen in Georgien: weder Revolution noch Evolution


Oppositionelle bauen Zelte vor der Residenz des Präsidenten in Tbilissi auf. © RFE/RL

Von Nicolas LANDRU, übersetzt von Jennifer EGGERT
Veröffentlicht in Caucaz.com am 21/04/2009

Der 9. April, der in Georgien hoch symbolbehaftete nationale Trauertag, war von der uneinheitlichen politischen Opposition als Ausgangspunkt für einen neuen Anlauf zur Mobilisierung der Bevölkerung gegen das Regime des Präsidenten Michail Saakaschwili angekündigt worden. Das erklärte Ziel eines Großteils dieser politischen Kräfte war es, die Menschen auf der Straße dazu zu bringen, den von der Opposition als illegitimen Amtsinhaber betrachteten Präsidenten abzusetzen. Die Oppositionsparteien, die durch die Niederlage während der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2008 geschwächt wurden und während des Blitzkrieges gegen Russland im August 2008 stumm geblieben waren, haben nun ihr Versprechen doch gehalten und besetzen seit über einer Woche die Straßen. Doch von der kämpferischen Atmosphäre vom Winter 2007 / 2008 ist wenig zu verspüren. Die Regierung hat einen anderen Ton angeschlagen und predigt den Dialog. Eine Strategie, die der Protestbewegung, die die erneute Mobilisierung der Massen in Tbilissi bisher nicht erreicht, kaum entgegen kommt.



Seit der tiefen politischen Krise, die von den Demonstrationen im November 2007 bis zu den von der Opposition verlorenen Parlamentswahlen im Juni 2008 gedauert hatte, waren die internen Unruhen, von denen Georgien gezeichnet war, angesichts der Aktualität des Krieges mit Russland im August 2008 in den Hintergrund getreten. Der Krieg gegen Russland bedeutete eine Ruhepause zwischen den Auseinandersetzungen des uneinheitlichen Oppositionsbündnisses mit dem Regime Michail Saakaschwilis, da sich während des Konflikts alle Oppositionsführer als Anhänger der „nationalen Einheit“ hinter den Präsidenten stellten.

Schwierige Nachkriegszeit für die Opposition

Der Krieg verbarg nur schlecht die tiefgehende Störung des Gleichgewichts zwischen Mehrheit und Opposition, das zunichte gemacht wurde durch einen fortwährenden „Dialog der Gehörlosen“, den Gebrauch von radikalen Methoden und eine Umgehung des institutionellen Wegs von beiden Seiten. Dennoch wurde durch den Krieg die Aufmerksamkeit der georgischen und internationalen Öffentlichkeit abgelenkt von einer Zeit voller besorgniserregender Ereignisse wie den langen und massiven Demonstrationen, der Polizeirepression, dem Ausnahmezustand, der vorgezogenen Präsidentschaftswahl, Unregelmäßigkeiten bezüglich der Legitimität der Wahl sowie der Instabilität und des Wankelmuts der Oppositionskoalitionen.

Erst Ende September 2008 meldeten sich die Oppositionsführer erneut zu Worte und wiesen auf die Verantwortung Präsident Saakaschwilis am Ausbruch des Krieges und dem Sieg der russischen Armee hin. Doch die Welle der Unzufriedenheit der Bevölkerung, welche die Opposition zuvor mitgetragen hatte, löste sich nach dem Schock der militärischen Auseinandersetzung schnell auf. So kam es zu einem Bruch in der Logik der Anti-Saakaschwili-Parteien: Die Wahlfälschungen und die Verstöße gegen die Bürgerrechte durch die Behörden während der Demonstrationen im November 2007 und des Wahlkampfes, welche thematisch die Grundpfeiler der Argumentationslinie der Opposition vor dem Krieg dargestellt hatten, wurden quasi nicht mehr beachtet.

Der Krieg stellte ein Trauma für das Land dar. Das Land sah sich zunächst der Herausforderung der durch eine Welle von Flüchtlingen ausgelösten humanitären Notsituation gegenüber, dann dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur und dem Umdenken gegenüber Abchasien und Südossetien, die von nun an vollkommen von Georgien getrennt waren. Außerdem war man konfrontiert mit dem Zustand der Armee, die schwer Schaden genommen hatte und mit der Tatsache, dass Russland nun mehr als jemals zuvor eine Bedrohung darstellte, sowie mit der weltweiten Wirtschaftskrise, von der auch Georgien nicht verschont ist. So spannte sich die politische Atmosphäre noch weiter an.

Nur langsam baute die Opposition ihren Argumentationsstrang gegen das Regime wieder auf. Die Wiederherstellung eines einheitlichen Zusammenschlusses der verschiedenen Einzelgruppen war schwierig, genauso wie die Abstimmung auf eine neue Agenda. Entsprechend diesem Programm hoffte die Protestbewegung den 9. April, den Gedenktag an die Niederschlagung der friedlichen Demonstrationen durch die Rote Armee im Jahre 1989, zum Ausgangspunkt einer neuen Welle des Volkszorn in Tbilissi machen zu können.

Eine kaum andauernde Mobilisierung

Nachdem sie am 9. April an der Seite Präsident Saakaschwilis das Gedenken an die 20 Opfer der Repression 1989 begangen hatten, sammelten die Oppositionsführer laut mehreren unabhängigen Beobachtern um die 50.000 Menschen um sich, um vor dem georgischen Parlament die Abdankung Saakaschwilis zu fordern. Diese Zahl stellt ungefähr die Hälfte der Demonstranten vom Januar 2008 dar, die damals in Folge der Wiederwahl des Präsidenten protestiert hatten. Die Gegner des Präsidenten erklärten eine Bewegung anzustoßen, die erst mit dem Rücktritt des derzeitigen Präsidenten ein Ende nehmen sollte.

Am darauf folgenden Tag, als die Oppositionsführer entschieden, die Demonstrationen auf weitere Teile der Stadt auszuweiten, darunter auch das Viertel Avlabari im Umkreis der Präsidentenresidenz, war die Zahl der Demonstranten empfindlich gesunken. Nach Angaben von Beobachtern belief sich die Zahl auf 25.000. Am 11. April ging der Mobilisierung einmal mehr der Atem aus, als nach einigen Quellen nur mehr 4000 bis 6000 Personen in den Straßen der Hauptstadt demonstrierten. Während sie eine Pause für den orthodoxen Palmsonntag ankündigten, sprachen die Führer der Opposition doch gleichzeitig von einer Ausweitung der Bewegung auf Gesamtgeorgien für Montag, den 13. April.

Während die Bewegung sich auf den Aufbau von etwa 30 Zelten im Umkreis der Präsidentenresidenz und auf die Belagerung der öffentlichen Fernsehstation konzentrierte, was Dienstagabend zur Blockierung einer wichtigen Verkehrsachse führte, übten am Vorabend des orthodoxen Osterwochenendes noch einige hundert Aktivisten Druck auf der Straße aus. Im Kontrast dazu sprachen die Oppositionsführer mehr als zuvor davon, eine Kampagne in den Provinzen außerhalb der Hauptstadt, die allgemein nur schwer zu mobilisieren und politisch inaktiv sind und bei Wahlen zum derzeitigen Regime tendieren, lostreten zu wollen. Nach einigem Zögern angesichts der religiösen Feierlichkeiten zwischen dem 17. und 20. April erklärte die Spitze der politischen Opposition dennoch, die Demonstrationen in Tbilissi fortsetzen zu wollen.

Kein Dialog in Sicht

Im Laufe der von den Demonstrationen gezeichneten Woche wurde von der Opposition eine Handvoll gewalttätiger Zwischenfälle angeprangert, davon besonders der Abend des 11. April, an dem laut Oppositionsangaben von etwa 50 Personen die Hauptquartiere der Demonstranten angegriffen und Computerausstattung zerstört worden seien. Am 14. April seien drei oppositionelle Aktivisten von maskierten Männern am Rande der Zeltansammlung um die Präsidentenresidenz zusammengeschlagen worden.

Doch abgesehen von diesen Ausgleitungen, die Inhalt heftiger Kontroversen zwischen Regierung und Opposition wurden, begnügten sich die Behörden erst einmal damit, eine polizeiliche Einrahmung der Demonstrationen durchzuführen, ohne dabei Anzeichen für eine mögliche Eskalation in Richtung physischer Gewalt zu geben. Das Schreckgespenst des 7. Novembers 2007, an dem die Demonstrationen von den Ordnungskräften gewaltsam aufgelöst wurden, ist in aller Köpfe. Vor allem hinterlässt es ein großes Fragezeichen bezüglich des möglichen Ausgangs dieser Ereignisse, die in Rhetorik und Gestalt – bis auf die allerdings unbedeutende Zahl der Demonstranten – sich kaum von denen vom November 2007 unterscheiden.

Der Fortlauf der Ereignisse wird dadurch noch unsicherer, dass keine Fortschritte in der Beziehung zwischen Opposition und Regierung auszumachen sind. Seit einer Woche hat sich die gleiche Konstellation, die seit zwei Jahren vorherrscht, noch einmal klar abgezeichnet. Die Regierung schlug als Kompromiss eine politische Maßnahme vor, nämlich die Änderung des Ablaufs der Bürgermeisterwahl in Tbilissi, was die Opposition als lächerlich bezeichnet. Die Opposition fordert den Präsidenten zu einer Art Konfrontation, einer Fernsehdebatte auf, was jedoch die Regierung ablehnt. Die Regierung ruft die Opposition zum Dialog auf, den die Opposition nach den Gewaltanwendungen gegen sie vom 11. April als inakzeptabel ansieht. Die Regierung stellt das Ganze als einen durch Russland organisierten Komplottversuch dar, nimmt einen russischen „Provokateur“ fest und startet so eine um Verrat kreisende Argumentationslinie, die die Legitimität der politischen Opposition zunichte macht. Diese wiederum sieht den unumkehrlichen Abgang des Präsidenten als einzigen möglichen Ausgang der Geschehnisse…

Dieser Kreislauf des fehlenden Kompromisses und Dialogs, der noch gestärkt wird durch die jeweiligen Argumentationsweisen, die sich auf ihn stützen, ist von Neuem im öffentlichen Leben, in den Medien und auf der Straße eingekehrt, vollständig außerhalb der demokratischen Strukturen. Dies scheint die Konstante in den Beziehungen zwischen Regierung und Opposition zu sein, die sich seit dem zweiten Jahr nach der Rosenrevolution durchgesetzt hat und selbst durch einen Krieg auf georgischem Territorium nicht ad acta gelegt wurde.

Eine weiteres Schlüsselthema bezüglich des Ausgangs der Protestbewegung ist die Frage ob die Oppositionsführer, darunter alte wie Levan Gatschetschiladse oder David Gamkrelidse und neue wie Irakli Alasania oder Nino Bourdschanadse, es schaffen, ihre tiefen Unstimmigkeiten zu überwinden. Wie dem auch sein mag scheint es nur schwer denkbar, dass die Bewegung der Aprildemonstranten sich in der Lage zeigen wird, das Szenario der Rosenrevolution zu wiederholen, auf das die Oppositionsführer auch dieses Mal ihre Hoffnungen setzen. Der Großteil der Georgier scheint nicht bereit zu sein, sich auf diesen unsicheren Weg einzulassen. Das Land hat sich von der Erschütterung erholt, von der es im August 2008 getroffen wurde und die Bedrohung einer erneuten russischen Invasion bleibt im Moment der wichtigste Verbündete des derzeitigen Regimes.

Aucun commentaire: