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mardi 23 mars 2010

The Forgotten Sanatoria of Tskhaltubo, a Picture Gallery by Birgit Kuch and Nicolas Landru

Tskhaltubo, Birgit Kuch

A lost, once prestigious, sanatoria complex in Imeretia, Western Georgia, which gives the weird impression of a Stalinist temples resort in the jungle...

vendredi 29 janvier 2010

Der Markt von Kabali in Kachetien: Regionale Integration durch das Pferd?

Veröffentlicht in Caucaz.com am 26/01/2010

Von Nicolas LANDRU in Kabali/Ninigori
übersetzt von Astrid HAGER



© Nicolas Landru, Der Pferdemarkt von Kabali

Der Viehmarkt von Kabali in Kachetien, an der südöstlichen Grenze Georgiens und einige Kilometer von der Grenzelinie zu Aserbaidschan entfernt, erscheint wie die Wiederkehr einer anderen Epoche. Dieser Markt ist der größte seiner Art in Georgien, im Herzen einer Region, in der sich Völker und Kulturen überlappen. Hier treffen sich Weidewirtschaft und Sesshaftigkeit und lassen Einblicke in den beispielhaften Tropismus von Dutzenden von Lokalwirtschaften im Transkaukasus zu.

Die Region von Kabali, der Bezirk Lagodechi, ist eine Übergangsregion. Im Norden und Westen das tiefe Kachetien mit seinem Weinbau und seinen georgischen Traditionen. Im Süden das Kachetien der Steppen und Hirten, das sich nach Aserbaidschan hin öffnet, und jenseits davon dem Kaspischen Meer und Zentralasien.

Das bewohnte Gebiet zieht sich wie eine Linie zwischen der lückenlosen steinernen Steilmauer des Großen Kaukasus (auf deren anderer Seite sich Dagestan in Russland erstreckt) und dem Alasani-Tal hindurch, jenem Schwemmgebiet am Fluss Alasani, das aufgrund der hohen Überschwemmungsgefahr traditionell nur dünn besiedelt ist und heute hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt wird.

Das Dorf Kabali wird überwiegend von Aseris bewohnt und ist einer der ältesten Orte in der Region. Der Bezirk Lagodechi setzt sich zusammen aus einem sehr feingliedrigen ethnischen Gefüge. Zum einen die georgischen Dörfer, die die Mehrheit ausmachen, genauer gesagt, Imeretier aus Westgeorgien, die in den 1930er Jahren hier angesiedelt wurden, um diese damals nahezu menschenleere Gegend zu bevölkern; daneben aserische Dörfer; sowie ossetische Dörfer, die allerdings aufgrund der rasanten Emigration nach Nordossetien immer leerer werden; und schließlich die ethnischen Gruppen der Dagestaner (Lesgier, Awaren). Selbst einige Dörfer der Udis finden sich hier, einer christlichen Volksgruppe, die nahezu verschwunden ist und nur noch eine kleine Minderheit in Aserbaidschan bildet. Von ihnen wird behauptet, sie stammen von den alten kaukasischen Albanern ab.

Weidewirtschaft

Es gibt eine Bevölkerungsgruppe, die das gesamte Jahr hindurch vom Norden in den Süden Kachetiens als Nomaden umherzieht und auf diese Weise die Region sozusagen zusammenhält: die Tuschen, ein Hirtenvolk aus den Bergen von Tuschetien ganz im Nordosten des Landes, wo sich die Sommerweiden ihres Viehs befinden. Im Herbst treiben sie ihr Vieh das gesamte Alasani-Tal herunter, um ihre Winterweiden, die Steppen von Schiraki an der aserischen Grenze zu erreichen. Auch zahlreiche Aseris aus dem Süden Kachetiens sind Hirten und ziehen saisonbedingt in den Süden der Region, wobei sie häufig die Grenze zu ihrem „Stammland“ Aserbaidschan überschreiten.

Letztlich taucht die Spur des Nomadentums nach wie vor in der Region auf und verschmilzt mit den Traditionen der Sesshaftigkeit und des Weinbaus der Georgier. Zur Sowjetzeit waren die Nomadenvölker halb sesshaft und oft dazu eingeteilt, sich um das Vieh der Kolchosen zu kümmern. Die ursprünglichen „nomadischen“ Kulturen erlebten jedoch rasch nach dem Zusammenbruch der UdSSR eine starke Renaissance und aufgrund fehlender Infrastrukturen eroberte sich das Pferd seinen einst so wichtigen Platz als Verkehrsmittel in der lokalen Kultur zurück.

Wie Rinder oder Wasserbüffel werden Pferde für den Transport, aber vor allem auch als Reittier für die Bewachung der Schafherden genutzt, die wegen Ihrer Wolle und Ihres Fleisches gehalten werden. Diese kleinen Araberpferde erinnern daran, dass noch vor 200 Jahren nomadische Turkvölker aus den Steppen Zentralasiens (die zusammen mit anderen ethnischen Gruppen zu einem Bestanteil der aserischen Minderheit wurden) in diese Region gekommen waren, um sich dort anzusiedeln.

Knotenpunkt einer Subsistenzwirtschaft

Der Viehmarkt von Kabali, eines der wichtigsten Zentren für den Handel mit Pferden, Rindern oder Schafen, befindet sich zwischen zwei Dörfern und erscheint als eine riesige, ebene Fläche ohne genauer definierbare Infrastruktur, die sich entlang des Schwemmlandes des Flusses Kabali ausbreitet. Schnell verschlammt, sobald es regnet, gleicht er in erster Linie einem weitläufigen, verschwommen Platz, auf dem man jeden Sonntag versuchen kann, sein Vieh zu verkaufen.

Die Fahrzeuge (zumeist Ladas und Pferdewagen) sind mehr oder weniger an den Seiten geparkt, auf dem Platz selbst präsentieren die Männer ihr Vieh, verhandeln den Preis eines Pferdes zwischen 300 und 2000 Lari, je nach „Qualität“ des Tieres, seines Alters, seiner Größe und seiner Stärke. Rennen und Probefahrten mit Karren oder Pferden finden zwischen den Auslagen statt, um in Anbetracht langer Wartezeiten für Zeitvertreib zu sorgen, was aber manchmal auch zu Panik in der Menschenmenge führen kann.

Das gesamte Zubehör wie Sattel und Steigbügel, Karren oder Geschirr ist Handarbeit, gefertigt aus Holz, Leder oder Schafsfell. Während der Pferdemarkt nahezu ausschließlich Männer ansammelt, so ist der Markt für Haushaltswaren, Lebensmittel, Kleidung und andere Produkte, der notdürftig in Hallen auf der anderen Seite untergebracht ist, den Frauen und Familien vorbehalten. Dieser Markt, wie man ihn in dieser oder in ähnlicher Form überall im Kaukasus finden kann, ist gleichwohl der bedeutendste im Süden Kachetiens.

Ein Faktor der regionalen Integration?

Ebenso wie das religiöse Festival Alaverdoba, das im Norden Kachetiens, um die orthodoxe Kathedrale von Alaverdi herum veranstaltet wird und traditionell allen Konfessionen offen steht, ist auch der Markt von Kabali ein Treffpunkt für die Dörfer und ethnischen Gruppen dieser Region. In dieser ländlichen Gegend, in der die Landwirtschaft und in geringerem Maße auch die Weidewirtschaft nach wie vor wichtige Elemente der privaten Wirtschaft sind, stellt er einen wichtigen Punkt des regionalen Gleichgewichts dar, zu dem man von weit her anreist, um daran teilhaben zu können.

Kachetien zählt zu den Regionen in Georgien, die am meisten multiethnisch geprägt sind, gleichwohl gilt sie auch als eine der stabilsten Regionen des Landes mit den geringsten ethno-politischen Spannungen. Auch wenn dieses Phänomen an eine Vielzahl von Faktoren geknüpft ist, wie z.B. die Organisation der lokalen Führung, die Machtstrukturen, die Geschichte, geostrategische Überlegungen, so ist doch zweifelsohne augenscheinlich, dass sämtliche Gruppen dieser Region, von denen keine isoliert lebt und die alle Georgisch als gemeinsame Verkehrssprache benutzen, in einem besonderen sozio-ökonomischen System vereint leben, das sich genau auf dieses Zusammentreffen von Weinbau, Weidewirtschaft, Nomadentum und Sesshaftigkeit stützt.

„14 Völker leben in Lagodechi“, beschwört Batscho, der aufgrund seines Berufes von Haus zu Haus durch die gesamten Region zieht, in einem Trinkspruch. „Jeder braucht jeden und alle leben als gute Nachbarn in Frieden zusammen.“

Weit ab von Tbilissi und dem neuen Georgien ist der Markt von Kabali ein Überbleibsel jener Tage, in denen die Zeit nicht so schnell verging. Er ist ein Relikt, das die Sowjetunion nicht begraben hat und das – im Gegenteil – Georgien sobald nicht beerdigen wird. Die jüngsten sozio-ökonomischen Transformationen in Georgien betreffen nur die wenigen Bereiche, die die Bevölkerung der Hauptstadt berühren. Sie haben aber kaum Auswirkungen auf die „Ökosysteme“ der Provinz. In Ermangelung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Revolution, die fähig wäre, eine nach wie vor tief im Landleben und in der Weidewirtschaft verankerte Gesellschaft komplett neu zu strukturieren, werden Märkte wie der von Kabali noch einige Sonntage Mikroregionen des Kaukasus beleben.

Siehe auch die Fotogalerie von Caucaz.com: Der Kabali-Viehmarkt

mardi 19 mai 2009

Aprildemonstrationen in Georgien: weder Revolution noch Evolution


Oppositionelle bauen Zelte vor der Residenz des Präsidenten in Tbilissi auf. © RFE/RL

Von Nicolas LANDRU, übersetzt von Jennifer EGGERT
Veröffentlicht in Caucaz.com am 21/04/2009

Der 9. April, der in Georgien hoch symbolbehaftete nationale Trauertag, war von der uneinheitlichen politischen Opposition als Ausgangspunkt für einen neuen Anlauf zur Mobilisierung der Bevölkerung gegen das Regime des Präsidenten Michail Saakaschwili angekündigt worden. Das erklärte Ziel eines Großteils dieser politischen Kräfte war es, die Menschen auf der Straße dazu zu bringen, den von der Opposition als illegitimen Amtsinhaber betrachteten Präsidenten abzusetzen. Die Oppositionsparteien, die durch die Niederlage während der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2008 geschwächt wurden und während des Blitzkrieges gegen Russland im August 2008 stumm geblieben waren, haben nun ihr Versprechen doch gehalten und besetzen seit über einer Woche die Straßen. Doch von der kämpferischen Atmosphäre vom Winter 2007 / 2008 ist wenig zu verspüren. Die Regierung hat einen anderen Ton angeschlagen und predigt den Dialog. Eine Strategie, die der Protestbewegung, die die erneute Mobilisierung der Massen in Tbilissi bisher nicht erreicht, kaum entgegen kommt.



Seit der tiefen politischen Krise, die von den Demonstrationen im November 2007 bis zu den von der Opposition verlorenen Parlamentswahlen im Juni 2008 gedauert hatte, waren die internen Unruhen, von denen Georgien gezeichnet war, angesichts der Aktualität des Krieges mit Russland im August 2008 in den Hintergrund getreten. Der Krieg gegen Russland bedeutete eine Ruhepause zwischen den Auseinandersetzungen des uneinheitlichen Oppositionsbündnisses mit dem Regime Michail Saakaschwilis, da sich während des Konflikts alle Oppositionsführer als Anhänger der „nationalen Einheit“ hinter den Präsidenten stellten.

Schwierige Nachkriegszeit für die Opposition

Der Krieg verbarg nur schlecht die tiefgehende Störung des Gleichgewichts zwischen Mehrheit und Opposition, das zunichte gemacht wurde durch einen fortwährenden „Dialog der Gehörlosen“, den Gebrauch von radikalen Methoden und eine Umgehung des institutionellen Wegs von beiden Seiten. Dennoch wurde durch den Krieg die Aufmerksamkeit der georgischen und internationalen Öffentlichkeit abgelenkt von einer Zeit voller besorgniserregender Ereignisse wie den langen und massiven Demonstrationen, der Polizeirepression, dem Ausnahmezustand, der vorgezogenen Präsidentschaftswahl, Unregelmäßigkeiten bezüglich der Legitimität der Wahl sowie der Instabilität und des Wankelmuts der Oppositionskoalitionen.

Erst Ende September 2008 meldeten sich die Oppositionsführer erneut zu Worte und wiesen auf die Verantwortung Präsident Saakaschwilis am Ausbruch des Krieges und dem Sieg der russischen Armee hin. Doch die Welle der Unzufriedenheit der Bevölkerung, welche die Opposition zuvor mitgetragen hatte, löste sich nach dem Schock der militärischen Auseinandersetzung schnell auf. So kam es zu einem Bruch in der Logik der Anti-Saakaschwili-Parteien: Die Wahlfälschungen und die Verstöße gegen die Bürgerrechte durch die Behörden während der Demonstrationen im November 2007 und des Wahlkampfes, welche thematisch die Grundpfeiler der Argumentationslinie der Opposition vor dem Krieg dargestellt hatten, wurden quasi nicht mehr beachtet.

Der Krieg stellte ein Trauma für das Land dar. Das Land sah sich zunächst der Herausforderung der durch eine Welle von Flüchtlingen ausgelösten humanitären Notsituation gegenüber, dann dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur und dem Umdenken gegenüber Abchasien und Südossetien, die von nun an vollkommen von Georgien getrennt waren. Außerdem war man konfrontiert mit dem Zustand der Armee, die schwer Schaden genommen hatte und mit der Tatsache, dass Russland nun mehr als jemals zuvor eine Bedrohung darstellte, sowie mit der weltweiten Wirtschaftskrise, von der auch Georgien nicht verschont ist. So spannte sich die politische Atmosphäre noch weiter an.

Nur langsam baute die Opposition ihren Argumentationsstrang gegen das Regime wieder auf. Die Wiederherstellung eines einheitlichen Zusammenschlusses der verschiedenen Einzelgruppen war schwierig, genauso wie die Abstimmung auf eine neue Agenda. Entsprechend diesem Programm hoffte die Protestbewegung den 9. April, den Gedenktag an die Niederschlagung der friedlichen Demonstrationen durch die Rote Armee im Jahre 1989, zum Ausgangspunkt einer neuen Welle des Volkszorn in Tbilissi machen zu können.

Eine kaum andauernde Mobilisierung

Nachdem sie am 9. April an der Seite Präsident Saakaschwilis das Gedenken an die 20 Opfer der Repression 1989 begangen hatten, sammelten die Oppositionsführer laut mehreren unabhängigen Beobachtern um die 50.000 Menschen um sich, um vor dem georgischen Parlament die Abdankung Saakaschwilis zu fordern. Diese Zahl stellt ungefähr die Hälfte der Demonstranten vom Januar 2008 dar, die damals in Folge der Wiederwahl des Präsidenten protestiert hatten. Die Gegner des Präsidenten erklärten eine Bewegung anzustoßen, die erst mit dem Rücktritt des derzeitigen Präsidenten ein Ende nehmen sollte.

Am darauf folgenden Tag, als die Oppositionsführer entschieden, die Demonstrationen auf weitere Teile der Stadt auszuweiten, darunter auch das Viertel Avlabari im Umkreis der Präsidentenresidenz, war die Zahl der Demonstranten empfindlich gesunken. Nach Angaben von Beobachtern belief sich die Zahl auf 25.000. Am 11. April ging der Mobilisierung einmal mehr der Atem aus, als nach einigen Quellen nur mehr 4000 bis 6000 Personen in den Straßen der Hauptstadt demonstrierten. Während sie eine Pause für den orthodoxen Palmsonntag ankündigten, sprachen die Führer der Opposition doch gleichzeitig von einer Ausweitung der Bewegung auf Gesamtgeorgien für Montag, den 13. April.

Während die Bewegung sich auf den Aufbau von etwa 30 Zelten im Umkreis der Präsidentenresidenz und auf die Belagerung der öffentlichen Fernsehstation konzentrierte, was Dienstagabend zur Blockierung einer wichtigen Verkehrsachse führte, übten am Vorabend des orthodoxen Osterwochenendes noch einige hundert Aktivisten Druck auf der Straße aus. Im Kontrast dazu sprachen die Oppositionsführer mehr als zuvor davon, eine Kampagne in den Provinzen außerhalb der Hauptstadt, die allgemein nur schwer zu mobilisieren und politisch inaktiv sind und bei Wahlen zum derzeitigen Regime tendieren, lostreten zu wollen. Nach einigem Zögern angesichts der religiösen Feierlichkeiten zwischen dem 17. und 20. April erklärte die Spitze der politischen Opposition dennoch, die Demonstrationen in Tbilissi fortsetzen zu wollen.

Kein Dialog in Sicht

Im Laufe der von den Demonstrationen gezeichneten Woche wurde von der Opposition eine Handvoll gewalttätiger Zwischenfälle angeprangert, davon besonders der Abend des 11. April, an dem laut Oppositionsangaben von etwa 50 Personen die Hauptquartiere der Demonstranten angegriffen und Computerausstattung zerstört worden seien. Am 14. April seien drei oppositionelle Aktivisten von maskierten Männern am Rande der Zeltansammlung um die Präsidentenresidenz zusammengeschlagen worden.

Doch abgesehen von diesen Ausgleitungen, die Inhalt heftiger Kontroversen zwischen Regierung und Opposition wurden, begnügten sich die Behörden erst einmal damit, eine polizeiliche Einrahmung der Demonstrationen durchzuführen, ohne dabei Anzeichen für eine mögliche Eskalation in Richtung physischer Gewalt zu geben. Das Schreckgespenst des 7. Novembers 2007, an dem die Demonstrationen von den Ordnungskräften gewaltsam aufgelöst wurden, ist in aller Köpfe. Vor allem hinterlässt es ein großes Fragezeichen bezüglich des möglichen Ausgangs dieser Ereignisse, die in Rhetorik und Gestalt – bis auf die allerdings unbedeutende Zahl der Demonstranten – sich kaum von denen vom November 2007 unterscheiden.

Der Fortlauf der Ereignisse wird dadurch noch unsicherer, dass keine Fortschritte in der Beziehung zwischen Opposition und Regierung auszumachen sind. Seit einer Woche hat sich die gleiche Konstellation, die seit zwei Jahren vorherrscht, noch einmal klar abgezeichnet. Die Regierung schlug als Kompromiss eine politische Maßnahme vor, nämlich die Änderung des Ablaufs der Bürgermeisterwahl in Tbilissi, was die Opposition als lächerlich bezeichnet. Die Opposition fordert den Präsidenten zu einer Art Konfrontation, einer Fernsehdebatte auf, was jedoch die Regierung ablehnt. Die Regierung ruft die Opposition zum Dialog auf, den die Opposition nach den Gewaltanwendungen gegen sie vom 11. April als inakzeptabel ansieht. Die Regierung stellt das Ganze als einen durch Russland organisierten Komplottversuch dar, nimmt einen russischen „Provokateur“ fest und startet so eine um Verrat kreisende Argumentationslinie, die die Legitimität der politischen Opposition zunichte macht. Diese wiederum sieht den unumkehrlichen Abgang des Präsidenten als einzigen möglichen Ausgang der Geschehnisse…

Dieser Kreislauf des fehlenden Kompromisses und Dialogs, der noch gestärkt wird durch die jeweiligen Argumentationsweisen, die sich auf ihn stützen, ist von Neuem im öffentlichen Leben, in den Medien und auf der Straße eingekehrt, vollständig außerhalb der demokratischen Strukturen. Dies scheint die Konstante in den Beziehungen zwischen Regierung und Opposition zu sein, die sich seit dem zweiten Jahr nach der Rosenrevolution durchgesetzt hat und selbst durch einen Krieg auf georgischem Territorium nicht ad acta gelegt wurde.

Eine weiteres Schlüsselthema bezüglich des Ausgangs der Protestbewegung ist die Frage ob die Oppositionsführer, darunter alte wie Levan Gatschetschiladse oder David Gamkrelidse und neue wie Irakli Alasania oder Nino Bourdschanadse, es schaffen, ihre tiefen Unstimmigkeiten zu überwinden. Wie dem auch sein mag scheint es nur schwer denkbar, dass die Bewegung der Aprildemonstranten sich in der Lage zeigen wird, das Szenario der Rosenrevolution zu wiederholen, auf das die Oppositionsführer auch dieses Mal ihre Hoffnungen setzen. Der Großteil der Georgier scheint nicht bereit zu sein, sich auf diesen unsicheren Weg einzulassen. Das Land hat sich von der Erschütterung erholt, von der es im August 2008 getroffen wurde und die Bedrohung einer erneuten russischen Invasion bleibt im Moment der wichtigste Verbündete des derzeitigen Regimes.

mercredi 1 avril 2009

Das Mardschanischwili-Theater bringt in Tbilissi Identitäts-Fragen auf die Bühne


©Birgit Kuch, das Mardschanischwili Theater in Tbilissi

Von Birgit KUCH, Universität Leipzig in Tbilissi/Leipzig
veröffentlicht in Caucaz.com am 10/03/09

Die georgische Gesellschaft hat in den letzten Jahren rapiden Wandel und anhaltende Transformationsprozesse erlebt. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb bleibt eine Positionierung gegenüber der sowjetischen Vergangenheit eine komplexe und schwierige Angelegenheit. Welche historischen Momente erinnert werden sollten, und welche man besser vergisst, wird weiterhin diskutiert. Schaut man auf das Staatliche Akademische Mardschanischwili Drama Theater in Tbilissi, lassen sich anschauliche Beispiele dafür finden, wie diese Fragen, die kollektive Identitäten, Erinnerungen und Repräsentationen betreffen, im heutigen Georgien verhandelt werden.


Eine neue Generation am Mardschanischwili-Theater

Das Mardschanischwili, das im letzten November sein 80. Jubiläum feierte, stellt ein spannendes Beispiel für den Generationenwechsel, sowie für die ästhetischen, thematischen und politischen Trends dar, die sich in der Theaterlandschaft von Tbilissi und darüber hinaus auch anderswo seit der Rosenrevolution in Georgien beobachten lassen. Im Zuge der Wiedereröffnung im September 2006 zog nach den drei Jahre andauernden Renovierungsarbeiten des Gebäudes, das mit einer Guckkastenbühne und 480 Sitzplätzen ausgestattet ist, auch eine neue künstlerische Leitung ins Mardschanischwili ein. Mit Lewan Tsuladse, der am Schota Rustaweli Institut für Theater und Film studiert hatte, wurde ein Vertreter der jüngeren Generation von Regisseuren für den Posten nominiert. Seine Wurzeln liegen in der freien Theaterszene von Tbilissi. 1997 gehörte Tsuladse zu den Mitbegründern des Sardapi “Basement” Theaters, wo er zahlreiche Stücke inszenierte, vor allem Komödien und Vaudevilles. Mit Hilfe dieser Masse an eher unterhaltsamen Regiearbeiten, die das bleibende Interesse einer vorwiegend jungen Zuschauerschaft sicherten, schaffte er es, aus dem Sardapi eines der beliebtesten Theater der Stadt zu machen. Der Erfolg des Theaters erlaubte 2003 die Eröffnung einer zweiten Sardapi-Filiale, die sich im Wake-Viertel befindet.

Heute wendet Tsuladse die gleiche Strategie – attraktive Produktionen für ein junges Publikum – für das Mardschanischwili an, wo er schon öfter in den Jahren vor seiner Nominierung inszeniert hatte. Im Dezember 2005 erhielt er für seine Leistungen als Regisseur die Ehrenmedaille des Präsidenten Saakaschwili. Wie er waren die anderen Preisträger entweder jung genug, um sich nicht mit einer sowjetischen Vergangenheit beschmutzt zu haben oder sie gehörten zu jenen, die niemals Teil der alten Elite gewesen waren. Gegen diese sogenannte „rote Intelligentsia“ brachte Saakaschwili dann auch während der Vergabezeremonie intensive Verbalattacken hervor.(1) Diese Zeremonie stellt nur ein Beispiel für die Kontinuitäten traditioneller sowjetischer Praktiken dar, die, mit antisowjetischer Rhetorik verknüpft, im post-revolutionären Georgien zu beobachten sind.

Beim Blick auf das Repertoire des Mardschanischwili seit der Wiedereröffnung zeichnet sich eine bemerkenswerte Heterogenität ab. Der Spielplan bestand seit 2006 nicht nur aus Premieren oder neuen Produktionen, sondern auch aus Inszenierungen, die vor der Renovierung erarbeitet worden waren. Ebenso georgische wie übersetzte ausländische Stücke wurden in den letzten Jahren gespielt, so wie immer schon an diesem Theater. Sie wurden von einer Vielzahl an Regisseuren inszeniert, unter ihnen natürlich Tsuladse. Drei beliebte Produktionen, die dort seit 2006 gezeigt und von drei Regisseuren aus verschiedenen Generationen erarbeitet wurden, können einen Eindruck davon vermitteln, wie sich die Aushandlungsprozesse auf der Bühne des Mardschanischwili gestalten.

„Kunst”: Ein Stück aus dem Westen in Georgien

Die erste dieser Inszenierungen ist Temur Tschcheidses „Kunst”. Tschcheidse absolvierte im Jahr 1965 das Rustaweli Institut für Theater und Film. Und wie Tsuladse heute, war er während der 1980er künstlerischer Leiter am Mardschanischwili. Obwohl er seit den 1990ern dauerhaft am BDT in St. Petersburg arbeitete, kehrte er regelmäßig ans Mardschanischwili und an andere Bühnen in Tbilissi zurück, um neue Stücke zu inszenieren. So auch für „Kunst“, das im Oktober 1999 Premiere feierte.

Drei Freunde im mittleren Alter verwickeln sich in einen Streit um ein Gemälde, das einer von ihnen gekauft hat. Die komplett weiße Leinwand des Kunstwerks ruft Fragen nach Sinn und Bedeutung hervor, doch schrittweise droht die Diskussion auch die Freundschaft der drei herauszufordern. In seiner Umsetzung des international erfolgreichen Stücks der französischen Schriftstellerin Yasmina Reza für die georgische Bühne arbeitete Tschcheidse nah am Text und verwendete minimalistische Mittel. Es gibt nicht viel Dekor, außer einem Teppich, der als die eigentliche Bühne fungiert, daneben ein paar Stühle und natürlich das weiße Bild. Hauptmerkmal dieser Produktion ist das ausdrucksvolle und immer wieder komische Spiel der Darsteller, das aus schnellen Dialogwechseln und dem gelegentlichen Durchbrechen der vierten Wand besteht.

Auffälligerweise ging diese Adaption des Stücks für die georgische Bühne über die buchstäbliche Interpretation des Texts hinaus. Indem den Figuren, und sogar dem manchmal erwähnten, aber nie auftauchenden Maler des Bildes georgische Namen verpasst wurden, fand eine Naturalisierung der Handlung statt. Einerseits schwimmen das Theater und sein Publikum mit der Aufführung dieses internationalen Kassenschlagers in den Wässern der Kultur des Westens. Dies geschieht vor allem über den Inhalt des Stücks, das sich lang anhaltenden Diskussionen über Zweck und Bedeutung abstrakter Kunst anschließt. Andererseits, so scheint es, bestand die Notwendigkeit, dem Stück einen klaren „georgisierten“ Hintergrund zu erarbeiten, damit die Handlung wirkliche soziale Relevanz für die lokalen Zuschauer erhält.

„Kakutsa Tscholochaschwili“: Ein georgisches Nationalepos

“Kakutsa Tscholochaschwili” wurde von Lewan Tsuladse inszeniert und zum ersten Mal im Mai 2007 aufgeführt. Das Stück über den Widerstandskämpfer Tscholochaschwili, der in den 1920ern gegen die Bolschewiki gekämpft hatte, wurde von Guram Kartwelischwili geschrieben, der 2005 ebenfalls eine Ehrenmedaille vom georgischen Präsidenten erhielt. Für diese Produktion war das Verteidigungsministerium einer der Hauptpartner des Theaters und sponserte 15 Gewehre, die während der Aufführung effektvollen Einsatz fanden.

Kommentare des Regisseurs selbst weisen darauf hin, dass diese Inszenierung im Kontext der intellektuellen militaristischen Mobilisierung gesehen werden kann, die die gesteigerten militärischen Ausgaben in Georgien lange vor dem Ausbruch des August-Krieges im Sommer 2008 begleitete: „Ich hoffe, das Stück wird interessant und wichtig sein“, sagte der Regisseur der englischsprachigen Zeitung „Georgia Today“ im März 2007. „Es wird eine heroische Saga sein, die den militärischen Bestrebungen Georgiens, die unserem Land nutzen, dienen werden.“, fuhr er fort.

„Es macht mir Spaß, an dieser Inszenierung zu arbeiten. Das soll nicht heißen, dass sich das Theater in eine heroische Einrichtung verwandelt, aber ich glaube, dass dieses Genre notwendig für die heutige georgische Bevölkerung ist. Kakutsa Tscholochaschwili ist mein Ideal. Er war ein echter Held. Ich möchte die Beliebtheit des Offiziers-Berufes in Georgien wiederherstellen, ich glaube, dass es keinen besseren Job für einen Mann gibt.“ (2)

Folglich verkörpert die Hauptfigur Tscholochaschwili ein heroisches, vielmehr unwissenschaftliches Geschichtsbild, das sehr an patriotische historische Master-Narrative erinnert. Obwohl es ein paar weibliche Figuren auf der Bühne gibt, handelt es sich hier um eine Männerwelt, die Tsuladse herausgearbeitet hat. Neben der Darstellung von Leben, Taten und Tod des Helden gibt es mehrere Kampfszenen, die mit Pathos und heftigem Humor unterlegt wurden.

Während Tsuladse vor dem August-Krieg die glorreiche militärische Leistung des schließlich besiegten Helden in den Mittelpunkt stellte, scheint sich seitdem eine leichte, aber nicht unerhebliche Sinnverschiebung abzuzeichnen. Heute eignet sich die Produktion offenbar auch zunehmend, um an die Invasion der Roten Armee zu erinnern, deren Resultat die Integration Georgiens in die Sowjetunion war. Mit den Erfahrungen des jüngsten Krieges mit Russland neigt die Darstellung der Invasion von 1921 außerdem dazu, gleichzeitig die Ereignisse vom August 2008 zu repräsentieren. Im Kontext des August-Kriegs erhält das Ideal des heroischen Widerstands gegen den Eindringling eine neue Bedeutsamkeit, auch wenn dieser Widerstand in einer Niederlage endete. Deshalb könnte die historische Figur Tscholochaschwili, an die jahrzehntelang nicht erinnert werden durfte, zu einem Symbol für den „Kampf gegen den Imperialismus“ von 2008 werden.

„Uriel Acosta“: Eine Art Nostalgisches Museum

Während “Kakutsa Tscholochaschwili” übereinstimmt mit zeitgenössischen offiziellen Lesarten der Vergangenheit, die die Erinnerung an die gewaltsame Unterdrückung durch das sowjetische Imperium wach halten, fungiert zur selben Zeit am Mardschanischwili eine andere Inszenierung, „Uriel Acosta“, als eine Art Vehikel, durch das nostalgische Erinnerungen an sowjetische Zeiten möglich zu werden scheinen. „Uriel Acosta“ wurde vom Gründer des Theaters, Kote Mardschanischwili, 1929 inszeniert und 2006 von der kürzlich verstorbenen Schauspielerin Sophiko Tschiaureli erneuert. In der Zwischenzeit wurde die Inszenierung mehrere Male von Veriko Andschaparidse, Tschiaurelis Mutter, „renoviert“, die in der ersten Fassung die Hauptrolle gespielt hatte, bevor sie diese später an ihre Tochter weitergab. Dabei bemühte sie sich, Mardschanischwilis Produktion auf möglichst authentische Weise weiterzugeben – ein Prinzip, das Tschiaureli 2006 weiterführte. Folglich hat ein Stück Avantgarde-Theater aus den frühen sowjetischen Jahren jahrzehntelang in Tbilissi überlebt.

Das aus dem 19. Jahrhundert stammende Stück des deutschen Schriftstellers Karl Gutskow ist in der Amsterdamer jüdischen Gemeinde des 17. Jahrhunderts angesiedelt. Die Hauptfigur, Uriel Acosta, rebelliert gegen die Rückständigkeit und Engstirnigkeit seiner Umgebung, die ihn auch daran hindern will, seine geliebte Judith zu heiraten. Nachdem man Judith gezwungen hat, einen anderen zu ehelichen und Uriel aus der Gemeinschaft verstoßen wurde, nimmt sich das Paar das Leben.

Als Mardschanischwili “Uriel Acosta” inszenierte, betonte er deutlich die revolutionäre Botschaft des Stücks. Mit seinen Erfahrungen, die er beim Theateroktober in Russland gesammelt hatte, kehrte er nach der bolschewistischen Annektierung nach Georgien zurück und fuhr dort fort, revolutionäres Theater zu machen. Dabei schuf er in seiner Heimat auch gleichzeitig die Grundlagen für modernes Theater. Die historischen und politischen Hintergründe dieser Inszenierung oder ihre Verbindung zur Avantgarde-Bewegung scheinen heute jedoch nicht von allerwichtigstem Belang zu sein. Derzeit stehen eher Erinnerungen an all die gegangen Stars, die an den verschiedenen Fassungen der Inszenierung beteiligt waren, und mit ihnen, die guten alten Zeiten, im Vordergrund.

Demzufolge gibt es nicht viel Raum zum Interpretieren für das Schauspielerehepaar Nato Murwanidse und Nika Tawadse (der auch Tscholochaschwili darstellt), die die beiden Hauptrollen in der heutigen Version von „Uriel Acosta“ geerbt haben. Ihre Aufgabe scheint vielmehr, die Vorfahren zu verkörpern. Es ist dieses System der dynastischen Weitergabe von Tradition, das dem Mardschanischwili-Theater den Charakter eines selbst-referentiellen Raumes, oder eines Erinnerungsspeichers verleiht. Andere zeitlose Eigenschaften des Mardschanischwili waren und sind seine eigentümliche Aktualität, seine Übereinstimmung mit dem Zeitgeist, sowie seine Nähe zu den jeweiligen Machthabern.

Die drei hier exemplarisch vorgestellten Produktionen am Mardschaniachwili verweisen darauf, dass es etliche konkurrierende Bilder und Narrationen gibt, die am selben Haus auf Fragen kollektiver Angelegenheiten Antwort geben. Diese Vielfalt der Repräsentationen ist darüber hinaus auch der Theaterlandschaft von Tbilissi selbst zueigen, in der das Mardschanischwili seine wichtige und spezifische Position seit mehr als 80 Jahren behauptet.

(1) Vgl.: 31 December 2005, President Saakashvili awards public figures with orders and medals of honor, http://www.president.gov.ge/?l=E&m=0&sm=3&st=1200&id=1281 (20.11.08)
(2) Maka Lomadze: The Catcher in the Rye and Georgian History: Innovations and Plans at Marjanishvili Theatre, in: Georgia Today, 30.03.2007, electronic version: http://www.georgiatoday.ge/article_details.php?id=2612# (16.02.08)

mardi 10 mars 2009

In den Dörfern Chewsuretiens : zwischen archaischen Lebensweisen und dem 21. Jahrhundert

Von Nicolas LANDRU in Dschuta, Schatili, Korscha und Tbilissi
Veröffentlicht in caucaz.com am 04/03/09



Dschuta ist ein kleines Dorf von etwa dreißig Familien. Es befindet sich im Herzen der östlichen Massive des georgischen Großen Kaukasus, deren höchste Erhebung mit 5033 Metern der Berg Kasbek darstellt. Sieben Kilometer entfernt von der Grenze zu Inguschetien in der Russischen Föderation liegt Dschuta am Nordhang der Bergkette. Mit einer Höhe von 2200 Metern stellt es knapp hinter Uschguli im westgeorgischen Swanetien den am zweithöchsten bewohnten Ort Europas dar – falls hier überhaupt noch Europa sein sollte. Über einem tiefen Tal gelegen, befindet sich Dschuta am äußersten Rand der georgischen historischen Regionen von Chewi und Chewsuretien. Oberhalb des Dorfes wohnt keine Menschenseele mehr: halb christliche, halb heidnische Heiligtümer aus trockenem Stein kann man dort als einzige Spuren von Zivilisation finden.



Vom inneren Chewsuretien durch das Tschauchi-Massiv (3842m) isoliert und mit dem Hauptort von Chewi, Stepantsminda (Kasbegi), durch eine Strasse verbunden, wird Dschuta von Chewsuren bewohnt, einer in Georgien spezifischen Stammesgruppe. Im Dorf würde man zwecklos nach Herrn Arabuli fragen, denn alle Einwohner heißen hier so, wahrscheinlich wegen eines gemeinsamen Vorfahren. Auch anderswo in Chewsuretien ist dieser Nachname häufig anzutreffen.

Die Chewsuren zwischen Mythos und Realität

Die Chewsuren, die aus insgesamt etwa 700 Familien bestehen, sind eine besondere Gruppe unter den Georgiern. Sie werden von der nationalen Romantik als zeitlose Wächter der georgischen Identität und des Glaubens idealisiert, imaginiert als stolze Krieger in Kreuzzügler-Kettenhemden, die das orthodoxe Kreuz hochhalten und rastlos muslimische Tschetschenen, Perser oder Dagestaner bekämpfen. Als Inhaber ungestorbener heidnischer Traditionen hätten sie die Seele der Urgeorgier sogar durch die Zeiten des Christentums hindurch erhalten.

Wascha Paschawela, ein georgischer Dichter aus dem 19. Jahrhundert, der selbst aus dem an Chewsuretien grenzenden Gebiet Pschawi stammte, zelebrierte ihre Tapferkeit und ihre Liebe zur Natur. Doch als der „nationale Kommunismus“ der 1950er Jahre den Mythos des reinen Chewsuren für ein Publikum in Tbilissi ausgrub, war schon die Hälfte Chewsuretiens entvölkert und seine Einwohner in das Flachland von Kachetien, Kwemo Kartli oder nach Tbilissi deportiert worden. Die massive Industrialisierung brauchte Arbeitskräfte für die Fabriken und Kolchosen, die damals aus dem Nichts in der Steppe erbaut wurden und heutzutage fast vollständig verfallen sind. Daneben war das sowjetische Regime ständig auf Schwierigkeiten gestoßen, sich die turbulenten Chewsuren gefügig zu machen, die vorher niemals äußeren Herrschern ganz unterworfen gewesen waren. Die Machthaber schienen kein Problem im Gegensatz zwischen politischer Aktion und Propaganda zu sehen: das Dorf Schatili, ein mittelalterlicher Aul (nord-kaukasisches befestigtes Dorf), wurde durch Filme zur Ikone der Bergregionen Georgiens, kurz nachdem man seine Einwohner von dort vertrieben hatte.

Geographisch in Chewi gelegen, blieb Dschuta von der Vertreibung seiner Bevölkerung verschont. Allerdings ist es kein Zufall, dass Jago, ein Mann aus dem Dorf, der in Kasbegi zur Schule ging, in Tbilissi studierte und jetzt versucht, den Tourismus in Dschuta zu entwickeln, eine Chewsurin geheiratet hat, die aus Südkachetien kommt. Dorthin hatte man ihre Familie in den 50er Jahren deportiert. Solche Fälle sind weit verbreitet: da Chewsuren meist Chewsurinnen heiraten, versuchen deportierte Familien, die Töchter mit Männern zu vermählen, die noch in Chewsuretien verwurzelt sind.

Harte Lebensbedingungen

Diejenigen, die in den Bergen geblieben waren, hatten nie ein einfaches Leben geführt. Jagos Großvater, ein Schafhirte, starb in einer Lawine. Jagos Kindheit verlief mit wenigen Kontakten zur Außenwelt, ohne Strom, in einem Haus wo Menschen und Tiere gemeinsam lebten. Dschutas Architektur ist einfach und die Wände von Jagos Haus sind heute noch teilweise mit getrockneten Kuhfladen bedeckt, der als Isolierung dient.

Stromlieferungen bezieht Dschuta erst seit Herbst 2007. Eine Gaspipeline wurde zu Sowjetzeiten gebaut, die die althergebrachte Isolation des Dorfes beendete. Daneben ist der Ort einer der kältesten in Georgien. Es kommt vor, dass man hier bis zu acht Monate im Jahr durch Schneemassen von der Außenwelt abgeschnitten ist. Weil bisher kein Regierungsprogramm plant, die Strassen zu reparieren und zu sichern, scheint es, dass diese Situation auch in Zukunft so bestehen bleibt.

Nur Kartoffeln lassen sich hier ernten, denn Dschuta liegt zu hoch für den Anbau anderer Gewächse. Die Einwohner besitzen vor allem Kühe und produzieren Butter und Käse. Andere Produkte werden von niedriger gelegenen Gebieten bezogen. In der Sowjetzeit fuhr man öfters nach Wladikawkas in Nordossetien, das nur etwa 60km entfernt liegt. Heute ist die russisch-georgische Grenze geschlossen, die Güter müssen daher erst vom mehr als 180 Kilometer entfernten Tbilissi nach Kasbegi gebracht werden, und dann nach Dschuta.

Die meisten Älteren im Dorf sind Hirten gewesen, erst „individuelle“ in ihrer Jugend, später „kollektive“. Als man die Schafherden zu Sowjetzeit kollektivierte, mussten Gruppen von Hirten Hunderte Kilometer mit mehreren Hunderttausend Tieren abwandern. Lagasa, Jagos Vater, begleitete diese riesigen Herden von Chewsuretien bis zum Kaspischen Meer in Dagestan.

Mit einem Fuß in der Tradition

Die Berge sind hier ein Synonym für harte Bedingungen. Zugleich haben sie aber auch länger als anderswo altüberlieferte Traditionen bewahrt. In Dschuta wird behauptet, dass die Stammeskleidung noch vor 30 Jahren getragen wurde. Bis in die Gegenwart hat sich, trotz dem Druck der orthodoxen Kirche in der georgischen Gesellschaft, der sonderbare Synkretismus der Chewsuren erhalten. Dieser steht übrigens in einem erstaunlichen Kontrast zu jenem Bild, das in den nationalen Vorstellungen die Chewsuren als verbissene Verteidiger des Christentums darstellt. Eigentlich existieren in Chewsuretien kein Klerus und keine Kirche, sondern Heiligtümer, wo gemischt Heiligen-, Kreuz- und Ahnenkult sowie animistische Rituale durchgeführt werden.

Heute noch versammeln sich die Männer in Chewsuretien für religiöse Feste an einem heiligen Ort außerhalb des Dorfes, oft in einem von Steinen umringten Raum, manchmal in einer Hütte. Frauen dürfen diesen Raum nicht betreten, denn durch sie würde der Ort „unrein“. Sie feiern ihrerseits manchmal in der Dorfschule oder in einem anderen Gemeinschafts-Raum. Im Heiligtum sitzt der Dorfälteste dem Kult vor. Seine Aufgabe ist, Gebete in Form von Trinksprüchen aufzusagen.

Bis zur Sowjetzeit haben die Gemeinden ohne feste Hierarchie gelebt. Der Chewisberi, der Stammesälteste, saß dem Kult und der Kriegsführung vor. Dieser Status hat sich bis heute beim Ritual erhalten. Nach dem religiösen Dienst wird ein Schaf, unter manchen Bedingungen auch ein Rind geopfert. Dann wird zusammen gefeiert; das geschlachtete Tier gegessen, selbst gemachter Schnaps oder Bier getrunken. Bei jedem Fest sind zwei Familien für die Organisation und die Versorgung mit Lebensmitteln zuständig. Das finanzielle Gewicht des Fests fällt also jedes Jahr auf andere Familien, so dass jede genug Zeit hat, für das nächste von ihr organisierte Fest zu sparen.

Der orthodoxe Klerus aus anderen Regionen Georgiens sieht diese in Chewsuretien überlebenden heidnischen Traditionen nicht gern. Besonders in der Nachbarregion Chewi, die eine spezifische orthodoxe Identität kultiviert: Ilja II, der Patriarch der georgischen orthodoxen Kirche, stammt aus dem Dorf Sno, das weniger als 15km von Dschuta entfernt ist. Orthodoxe Priester versuchen in Chewsuretien, wie im benachbarten Berggebiet Tuschetien „Entheidnisierungs-Kampagnen“ durchzuführen. Sie besetzen Orte wie den Aul Schatili, die von der nationalen Mythologie verehrt werden. Jedoch scheinen sie bis jetzt wenig Anklang unter den Berggemeinschaften gefunden zu haben.

Moderne Aspekte

Heute wohnen viele Familien aus Dschuta in Tbilissi, vor allem in den Vororten der Hauptstadt. Sie verbringen dort die schlechte Saison und kehren am Ende des Frühlings bis zur Mitte des Herbstes nach Dschuta zurück. Einige aber verbringen hier das ganze Jahr und horten vor dem ersten Schnee Mehl, Salz und Zucker, um die 6 bis 8 Monate Isolation durchhalten zu können. Nach der Eisschmelze und kurz vor dem Winter sind es riesige Wagenkolonnen, die aus Kasbegi, dem Hauptort von Chewi, und sogar aus Tbilissi nach Dschuta fahren, um die Einwohner zu versorgen. Zum Transport benutzt man bis zum Eingang des Dorfes Minibusse, die trotz des extrem schlechten Zustands der Strasse hochfahren können, und sowjetische Jeeps der Marke „Niwa“. Für die unbefahrbare Strecke im Dorf muss man die Waren dann auf Eselrücken umladen.

Wegen der nahen Grenze zur russischen Föderation wurde Chewsuretien in den 1990er Jahren stark militarisiert. Grenzen zu Tschetschenien in Schatili, zu Inguschetien in Dschuta: Wegen der nord-kaukasischen Konflikte wurde Chewsuretien fast gelähmt. Bis 2005 brauchte man eine Erlaubnis des Verteidigungsministeriums, um dorthin fahren zu können. Die Situation hatte sich nach dem russischen Sieg in Tschetschenien gelockert. Doch der Krieg mit Russland im August 2008, obwohl er Chewsuretien nicht direkt betraf, hat gezeigt, dass keine Grenze in Georgien für ganz sicher gehalten werden kann. Jetzt herrscht wieder Spannung an der russischen Grenze, die Touristen sind verschwunden, ebenso die Trucks mit russischen, belorussischen und ukrainischen Kennzeichen. Die Entwicklung Chewsuretiens ist heute mehr denn je von den Verhältnissen zwischen den beiden Ländern und von der Entwicklung der Süd-Ossetien-Frage abhängig.

Jedoch stellt die Grenze auch eine wertvolle Ressource für Chewsuretien dar, denn die meisten jungen Einheimischen arbeiten als Grenzposten. Die Überlegung des Verteidigungsministeriums, keine Einheimischen mehr als Grenzposten anzustellen, um lokale Korruption zu vermeiden, hatte viele Ängste in der Region hervorgerufen. Solange eine solche Entscheidung von Tbilissi nicht getroffen ist, stellt die Armee jedoch als Arbeitsgeber, aber auch mit ihren modernen Wagen und dem notwendigen Equipment den besten Partner für die Einwohner dar, um die Strassen von Lawinen zu räumen, einen feststeckenden Traktor zu befreien oder einen Nachbarn ins nächste Dorf zu fahren.

Der Einstieg dieser abgeschiedenen Region in die Modernisierung des 21. Jahrhunderts geht aber manchmal über unerwartete Wege. Auf der nordkaukasischen Seite Hoch-Chewsuretiens, in der Region, die in den 1950ern entvölkert wurde, und wohin nur manche Familien Ende der 1970er zurückgekehrt sind, gibt es keinen Empfang für Mobiltelefone. Im niederen Chewsuretien dagegen, auf der Bergseite, die in Richtung Tbilissi zeigt, schreitet die technische Zentralisierung langsam voran. Sendemäste wurden aufgestellt. Trotzdem hat Schota Arabuli, der in Korscha in Nieder-Chewsuretien wohnt, einen seiner Söhne in die Internatsschule von Schatili geschickt, die nur von Juni bis Oktober, und nur mit Vierradantrieb mit einer Fahrtzeit von 3 bis 4 Stunden erreichbar ist - weil Schatili, am äußersten Ende von Georgien, Internet per Satellit empfängt!

Bis zum August-Krieg kamen jedes Jahr immer mehr Touristen nach Chewsuretien. Wenn ab jetzt der Frieden erhalten wird, sehen die Chancen gut aus, dass dieser Trend noch zunimmt. Er würde andere Perspektiven für diese weit abgelegene Region in Georgien eröffnen.

Verloren oder Gewonnen? Achalgori, Georgien – Leningor, Südossetien

Von Nicolas Landru in Achalgori/Leipzig
Veröffentlicht in caucaz.com am 26/02/2009


Die Region von Achalgori, oder Leningor, wie sie von den Osseten ihrem sowjetischen Namen nach genannt wird, stellte einst den einzigen Teil des ehemaligen Südossetischen Autonomen Territoriums dar, der vom Konflikt der frühen 1990er Jahre zwischen Georgiern und Osseten geschont geblieben war. Sie blieb unter unbestrittener georgischer Kontrolle. Nach dem Krieg im August 2008 und der Niederlage der georgischen Armee brachten sie südossetische Milizen unter ihre Kontrolle. Sie zwangen die georgischen Polizeikräfte, sich zurückzuziehen und einen großen Teil der georgischen Bevölkerung zur Flucht.


Der Bezirk von Achalgori liegt an den vorgelagerten Erhebungen des Grossen Kaukasus im hohen Tal des Ksani-Flusses, der abwärts vor Mzcheta in die Kura mündet. Er ist physisch durch eine Bergkette vom restlichen Südossetien getrennt und leicht aus Mzcheta durch eine Strasse zu erreichen. Daneben war er schon vor dem Konflikt von 1990/91 mehrheitlich von „ethnischen“ Georgiern bewohnt.

. Auch Osseten wohnten dort, hauptsächlich in den Dörfern oberhalb der Stadt Achalgori. Zwar behauptet das südossetiche Regime von Tschinwali, dass Osseten vor allem während der Amtszeit des Präsidenten Swiad Gamsachurdia 1991 beraubt und zum Auswandern gezwungen wurden. Jedoch scheint es eher so, dass die beiden Communities weiterhin relativ harmonisch zusammengelebt haben.

1990-2008 : eine Region abseits des separatistischen Konfliktes

Isoliert von der südossetischen Hauptstadt Tschinwali und ihren politischen Wallungen hat also der südossetische Bezirk von Achalgori keine bewaffneten Auseinandersetzungen erfahren. Er blieb unter der Kontrolle der georgischen Regierung und wurde der administrativen Region Mtscheta-Mtianeti eingemeindet. Damit bereitete ihm die Regierung ein anderes Schicksal als jenen Zonen des Südossetischen Autonomen Territoriums, die bis August 2008 unter georgischer Kontrolle blieben und der administrativen Region von Gori in Schida Kartli zugeteilt wurden. Achalgori jedoch sollte sich von seiner Vergangenheit innerhalb des Autonomen Territoriums trennen und in den neu gegründeten Staat Georgien integrieren.

Die 1990er und 2000er Jahre stellten sich für den Bezirk als eher förderlich heraus, denn er blieb von den zahlreichen Auseinendersetzungen zwischen georgischen Kräften und südossetischen Milizen verschont. Die Lomissi Brauerei, eine der drei größten in Georgien, schuf Arbeitsplätze für eine bedeutende Anzahl der vormals 6000 Einwohner der Stadt Achalgori. Der Rest des Bezirkes, ländlich und von Bergen geprägt, lebte wie die meisten Regionen Georgiens von der einfachen Landwirtschaft.

Die georgische Regierung ließ in den Jahren 2007/2008 sogar die Strasse zwischen Mzcheta und Achalgori reparieren und bewirkte damit die weitere Integration des Bezirkes in die Infrastrukturen des Landes. Achalgori besitzt eine wichtige touristische Sehenswürdigkeit: die mittelalterliche Burg der Ksani-Prinzen, welche vom 10. bis zum 12. Jahrhundert zu den mächtigsten georgischen Prinzen zählten, und bis ins 19. Jahrhundert von Bedeutung blieben. Gleichfalls ein Geschichts- und Kunstmuseum, war die Burg gerade im Begriff, ein beliebtes Ausflugsziel der Einwohner von Tbilissi zu werden, zum Beispiel auch für Schulklassen.

Der August-2008-Krieg : der Preis des Gegenangriffs

Der Angriff der georgischen Truppen auf Tschinwali und auf die südossetischen Regionen, die unter separatistischer Kontrolle geblieben waren, sowie der Blitz-Gegenangriff Russlands brachten jedoch im August 2008 diese relative Ruhe zu einem Ende. Diese Region, die ohne schlimme Wunden durch die dunkelsten Stunden der zeitgenössischen Geschichte Georgiens gegangen war, erlitt nun frontal das Debakel der georgischen Armee.

Nach dem russischen Sieg in Südossetien und in Schida Kartli sind südossetische Milizen « über die Berge » gekommen, durch einen Pass, der Tschinwali und Achalgori verbindet, aber nur mit Vierradantrieb bewältigt werden kann. Sie vertrieben die georgischen Polizeieinheiten, die in Achalgori stationiert waren. Die georgische Armee, die sowieso ihre Positionen in Zentralgeorgien verlassen hatte, um sich in das um Tbilissi herum gelegene Gebiet zurückzuziehen, war in diesem Bezirk nicht stationiert. Ein paar Kilometer südlich von Achalgori befindet sich jetzt ein Checkpoint, der die Kontrolle des Bezirkes durch Südossetien, und seinen Verlust für Georgien, bestätigt.

Tbilissi beschuldigt die russische Armee, den südossetischen Milizen bei der Eroberung von Achalgori geholfen zu haben und an ethnischen Säuberungen beteiligt gewesen zu sein. Laut Georgien würden sich dort noch russische Armeeeinheiten aufhalten. Im Oktober bestätigte die OSZE den Rückzug der russischen Truppen aus den georgischen Regionen um Südossetien, bedauerte aber ihren Verbleib in Achalgori.

Ist Achalgori für Georgien endgültig verloren?

Die georgische Seite behauptet, Russland hätte vor, Achalgori in das übrige Abspaltungsgebiet von Südossetien einzugliedern. Der erklärte Plan, eine Strasse zwischen Tschinwali und Achalgori zu bauen, der nur mit dem technischen Beistand von russischer Seite zu verwirklichen ist, stellt die erste Beschuldigung von Tbilissi gegen Moskau dar.

Ein militärisch besiegtes Georgien hat tatsächlich geringe Chancen, den Bezirk zurückzuerhalten, es sei denn, dass dieser sich zu einem Entschädigungsgegenstand bei Verhandlungen zwischen den Protagonisten wandeln würde. Die Region von Achalgori stellt kein besonderes Interesse dar, weder strategisch noch wirtschaftlich, denn das Ksani-Tal endet in einer natürlichen Sackgasse. Die Abspaltungsrepublik kann sich im Bezirk weder auf Institutionen noch auf Infrastrukturen verlassen, dazu lebt dort nur ein geringer Bevölkerungsanteil an Osseten. Insofern wäre es vorstellbar, dass die ossetisch-russische Seite Achalgori als Tauschobjekt und weniger als territoriales Ziel an sich benutzen könnte, sollten Verhandlungen stattfinden, die für Georgien einigermaßen vorteilhaft wären.

Weit entfernt von dieser Annahme ist die ossetisch-russische Kontrolle über Achalgori streng implementiert. Am 27. November 2008 versuchte der georgische Präsident Michail Saakaschwili seinen Gast, den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, trotz der Existenz des Checkpoints nach Achalgori zu bringen. Indes endete diese seltsame Aktion in einer Kehrtwendung. Die georgische Seite behauptet, man hätte auf den Wagen des Präsidenten geschossen; die südossetische Regierung dagegen verwehrt sich gegen diese Beschuldigung. Der polnische Präsident wurde in seinem Land mit einem Skandal konfrontiert, da er sich ohne angemessene Sicherheitsmassnahmen in einem ungeplanten Unternehmen das den Regeln eines Präsidentenbesuchs wenig entsprach, in Gefahr begeben hatte.

Abgesehen von dieser unklaren Affäre hat Tbilissi mehrmals von Moskau gefordert, den Achalgori-Bezirk zu verlassen. Nun kann die georgische Regierung in Anbetracht der ossetisch-russischen Übernahme der Region kaum etwas anders tun, als ohne Handhabe Aufforderungen auszusprechen, und zu versuchen, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft zu wecken.

Die gefährdete Bevölkerung

Ein Großteil der « ethnischen » georgischen Einwohner von Achalgori wurde durch die ossetischen Milizen vertrieben oder ist später im August geflohen, um in Tbilissi oder in anderen Flüchtlingslagern für Georgier, die nach dem Krieg von Südossetien umgesiedelt wurden, Zuflucht zu finden.

Ende November berichtete die Organisation für Menschenrechte, Human Rights Watch, von Übergriffen der ossetischen Milizen auf « ethnische » Georgier in Achalgori. Raub, Plünderung, Gewaltakte: die Bevölkerung scheint bewaffneten Banden ausgeliefert zu sein. Die Untersuchung liefert auch Zahlen mit denen die Anzahl der geflüchteten Personen eingeschätzt werden kann: In einer Schule der Stadt, die ursprünglich einmal 236 Schüler hatte, sind nur noch 136 geblieben. Human Rights Watch hat Russland dazu aufgerufen, als Besatzungsmacht gegen diese Übergriffe vorzugehen.

Seitdem die südossetischen Milizen die Kontrolle übernommen haben, ist es abgesehen von ein paar Recherchen durch Menschenrechtsorganisationen noch sehr schwierig zu bestätigen, was genau in Achalgori geschehen ist und weiterhin geschieht. Klar ist allerdings, dass eine deutliche Abwanderung der georgischen Bevölkerung stattgefunden hat, und dass ein beträchtlicher Teil der Betriebsamkeit der Stadt unterbrochen wurde. „Leningor“ liegt wieder in Südossetien, ohne dass die neuen Herren der Region klare Pläne für den Bezirk und die Stadt geäußert haben.

vendredi 8 août 2008

Flächenbrand in Südossetien: kommt es zum russisch-georgischen Krieg?

Von Nicolas LANDRU in Voiron
Übersetzt von Astrid HAGER

Artikel erschienen in Caucaz.com



Nach der georgischen Offensive in der Nacht vom 8. August 2008 in der Separatistischen Republik Südossetien, scheint dieser Teil des Kaukasus schier zu brennen. Nach einem halben Tag Blitzoffensive seitens der georgischen Armee, die anfänglich zahlreiche Stellungen einnehmen konnte, trat Russland ostentativ in die Kampfhandlungen ein, um den südossetischen separatistischen Milizen seinen starken Arm zu reichen, und machte somit den Konflikt zu einem ausgewachsenen russisch-georgischen Krieg.

Die Wochen der Spannungen zwischen Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien mündeten in häufigem tödlichen Geplänkel zwischen südossetischen Milizen und georgischen Streitkräften. In der Nacht vom 7. zum 8. August startete Tbilissi einen massiven Angriff gegen die südossetischen Stellungen um die Hauptstadt der Separatisten Zchinwali.

Am Abend des 7. August erklärte Mamuka Kuraschwili, Vertreter des georgischen Verteidigungsministeriums, die südossetische Seite habe gegen die von Präsident Saakaschwili vorgeschlagene Waffenruhe verstoßen, indem sie ein georgisches Dorf beschossen habe. In der Konsequenz habe, so Kuraschwili, „die georgische Seite beschlossen, die verfassungsrechtliche Ordnung in der gesamten Region wieder herzustellen“.

Am 8. August, gegen ein Uhr morgens, einige Stunden nachdem der georgische Präsident Michail Saakaschwilli die allgemeine Waffenruhe vorgeschlagen hatte, nahm die georgische Armee die separatistischen Milizen in den Vororten der „Hauptstadt“ Zchinwali unter Beschuss. Dann unternahm sie eine großangelegte Panzeroffensive, um die Stadt einzukesseln. Am Vormittag des 8. August schienen die georgischen Streitkräfte acht südossetische Dörfer eingenommen zu haben und in die Außenviertel Zchinwalis vorzurücken.

Die russische Intervention

Im Laufe des 8. August passierten russische Panzerkolonnen den Roki-Tunnel, der Nordossetien von Südossetien trennt und somit offiziell die Grenze zwischen Russland und Georgien bildet.

Den georgischen Behörden zufolge sollen russische Militärflugzeuge strategische Punkte in Georgien bombardiert haben, die außerhalb der Konfliktzone liegen. Unter anderem wurde ein Polizeiposten in Kareli getroffen; auch Gori wurde von mehreren Bombenangriffen heimgesucht, wobei es zahlreiche zivile Opfer zu verzeichnen gab. Im Westen Georgiens wurden der Hafen von Poti und eine Militärbasis in Senaki stark zerstört. Im Osten des Landes nahm die russische Luftwaffe den Militärstützpunkt Vaziani in einem Vorort von Tbilissi sowie einen Militärflugplatz in Marneuli unter Beschuss, was ebenfalls mehrere Tote forderte. Auch die in der Nähe gelegene Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline war von den Bombardements betroffen. Zivile Ziele wurden an unterschiedlichen Orten mehrfach angegriffen. Die georgischen Behörden sprachen zudem auch von Cyber-Angriffen, wobei ein Teil des Internetnetzes gekappt wurde. Wichtige Informationsquellen sowie offizielle Seiten waren Ziel der Angriffe. Russland seinerseits dementierte diese Informationen, die größtenteils jedoch von unabhängigen Beobachtern bestätigt wurden.

Im Konfliktgebiet selbst waren die Aussagen beider Seiten über den Verlauf der Auseinandersetzungen widersprüchlich. Am Morgen des 9. Augusts behauptete der georgische Präsident Michail Saakaschwili, dass seine Armee weite Teile Südossetien kontrolliere, darunter auch die Hauptstadt Zchinwali. Die georgischen Behörden erklärten weiter, dass die georgischen Luftstreitkräfte fünf russische Flugzeuge abgeschossen hätten, was von russischer Seite jedoch nicht bestätigt wurde. Die Sprecherin der separatistischen Regierung in Südossetien, Irina Goglojewa, behauptete ihrerseits, die Stadt stehe unter südossetischer Kontrolle. Der russische Verteidigungsminister sprach ebenfalls davon, dass der Gegenangriff erfolgreich verlaufe und die georgischen Stellungen um Zchinwali zerstört worden seien. Es scheint zu stimmen, dass russischen Truppen über Zchinwali mit dem Fallschirm abgesetzt wurden und die Kontrolle über den Großteil der Stadt wiedergewonnen haben.

Humanitäre Hilfe

Auf jeden Fall scheint sicher zu sein, dass der Großteil des Gebiets verlassen wurde und die südossetische Hauptstadt weitgehend einer Ruine gleicht. Ein Journalist von Reuters berichtete von georgischen Soldaten, die erschöpft auf ihrem Rückweg von Zchinwali nach Tbilissi an verlassenen Panzern vorbeizögen, die die Straßen säumten.

Scheinbar ist ein Großteil der Bewohner aus der Kampfzone geflohen, die südossetische Bevölkerung in Richtung Nordossetien, die georgische Bevölkerung ins georgische Kernland. Am Vorabend der georgischen Offensive evakuierten die südossetischen Behörden vorsorglich etwa 500 Personen, hauptsächlich Kinder, und brachten sie nach Nordossetien.

Zugänglichen Quellen zufolge scheint die humanitäre Lage in Südossetien sehr angespannt zu sein. Laut dem Internationalen Roten Kreuz machten es die kriegerischen Auseinandersetzungen unmöglich, humanitäre Hilfe zu leisten und Zchinwali sei von jeglicher externer Hilfe abgeschnitten. Das Stadtkrankenhaus habe seinen Betrieb eingestellt und die Krankenwagen könnten die Tausenden von Verletzten nicht erreichen. Das Internationale Rote Kreuz ruft dringend dazu auf, einen Korridor für humanitäre Hilfe einzurichten.

Der Präsident der separatistischen Republik, Eduard Kokoity spricht von 1600 Toten auf Seiten der Südosseten, eine Größenordnung, die von Beobachtern bestätigt wurde. Am Morgen des 9. August registrierte die georgische Armee 30 Tote. Die russischen Friedenstruppen sprechen von 15 Soldaten, die auf ihrer Seite getötet wurden. Der Beschuss ziviler Ziele auf georgischem Gebiet gibt Anlass zu größter Besorgnis, dass sich die Ereignisse dramatisch zuspitzen könnten, da nun kein Teil Georgiens mehr vor den Bombardements sicher ist.

Dem Kriegslauf entgegen

Beide Seiten bezichtigen sich, die Auseinandersetzungen, die einer Kriegserklärung gleichkommen, angezettelt zu haben und schieben sich gegenseitig die Schuld an der Eskalation des Konflikts zu. So verurteilt Russland den Angriff Georgiens auf seine Friedenstruppen und auf seine Staatsbürger (ein Großteil der südossetischen Bevölkerung besitzt einen russischen Pass). Präsident Michail Saakaschwili prangert seinerseits die Intervention Russlands auf dem zwar de facto von Separatisten kontrollierten aber offiziell zu Georgien gehörenden Territorium scharf an. Er verurteilte auch die Bombardierungen, die, so Saakaschwili, von der russischen Luftwaffe im Kernland Georgiens verübt wurden.

Der Konflikt spitzte sich indes intervallartig zu. Auf russischer Seite bekräftigte Moskau am 8. August , dass eslediglich seine Friedenstruppen in Südossetien unterstütze, die von Tbilissi wiederum beschuldigt werden, auf Seiten der Separatisten zu kämpfen. Am Morgen des 9. August erklärte der russische Generalstab dann, dass die Truppen in der Konfliktregion verstärkt würden. Der russische Präsident Medwedew sprach ebenfalls davon, den georgischen „Aggressor“ bestrafen zu müssen. Der georgische Präsident verhängte am Morgen des 9.August schließlich das Kriegsrecht über Georgien, um den Konflikt kontrollieren zu können.

Michail Saakaschwili berief zudem die 2000 im Irak stationierten georgischen Soldaten an die georgische Front ab. Daneben verfügte er die Generalmobilmachung sämtlicher Streitkräfte und Reservisten, ein Teil der gesunden Männer, die ihren Militärdienst abgeleistet hatten und momentan als solche zur Verfügung standen. Im Laufe des 8. August waren ganze Regimenter zu sehen, die durch die Straßen Tbilissis zogen, um sich an die Front zu begeben; Zeugen berichten von Militärs, die die Einberufenen sogar in ihren Häusern aufgesucht hätten.

Zeitgleich formierten die Behörden Nordossetiens Regimenter aus freiwilligen Söldnern, die sich bereit erklärten den „Brüdern“ im Süden zur Hilfe zu kommen. Von 500 bis einigen Tausend Männern sollen sich schließlich den Stellungen der separatistischen Milizen in Südossetien angeschlossen und die russischen Panzerkolonnen begleitet haben.

Wenn der Krieg in Südossetien die territoriale Integrität Georgiens bedroht, so könnte er auch den Konflikt mit Abchasien neu anheizen, welcher ebenfalls in den vergangenen Wochen von Gewalt geprägt war. Die separatistischen Behörden warfen Georgien vor, während der Truppenbewegungen vom 8. August auch Kräfte an die abchasische Grenze verlagert zu haben.

Welche Rolle kann die internationale Staatengemeinschaft spielen?

Die georgische Offensive wurde am Morgen der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking gestartet, während die Kameras der ganzen Welt auf China gerichtet waren. Dennoch berichteten die Medien auf den Titelseiten neben den Olympischen Spielen auch von einem neuen Krieg im Kaukasus zwischen dem russischen Goliath und dem georgischen David. Im Verlaufe des 8. August rief Michail Saakaschwili die Staatengemeinschaft auf, etwas zu unternehmen, um den russischen Angriff zu stoppen, der „Georgien dazu zwinge, auf das Prinzip der Selbstverteidigung zurückzugreifen“.

Die amerikanische Diplomatie war indes bemüht, ihre Unterstützung für die territoriale Integrität Georgiens zu wiederholen. Während der georgischen Offensive rief die amerikanische Diplomatie die südossetischen Milizen immer wieder auf, ihren Beschuss einzustellen. Nach der russischen Gegenoffensive rief Condolezza Rice Russland dazu auf, seine Truppen aus dem Gebiet Georgiens abzuziehen und seine Luftangriffe einzustellen. Trotz eines flüchtigen Treffens zwischen Wladimir Putin und George Bush am Rande der Eröffnungsfeiern der Olympischen Spiele in Peking, lehnte Russland es kategorisch ab, seine militärische Machtdemonstration abzubrechen.

Dieses Verhalten der beiden Seiten bestätigte in den Augen vieler Geopolitiker das Prisma eines „Konflikts der Großen“, die sich im südossetisch-georgischen „Hinterhof“ gegenüber stehen. Das Scheitern im UN-Sicherheitsrat über eine gemeinsame Erklärung zeigte jedenfalls mehr als deutlich, wie tief die Diskrepanzen zwischen den beiden Mächten sind, zumindest stärker als der Wille, kurzfristig kriegerische Auseinandersetzungen zu stoppen.

Die anderen Staaten haben mit ihrer Reaktion auf sich warten lassen, auch wenn die europäischen Staaten, die NATO, die EU oder der Europarat am Abend des 8. August eine unwiderrufliche Waffenruhe forderten. Die großen internationalen Organisationen schickten dann auch gleich am 9. August Vertreter vor Ort, die versuchen sollten, den Konflikt einzudämmen und ein weiteres Aufflammen der Auseinandersetzungen zu verhindern. Dennoch scheint, dass weder die georgische noch die russische Armee noch die südossetischen Kräfte bereit sind, dem simplen Aufruf nach Frieden nachzukommen. Und das Risiko eines Flächenbrands in der gesamten Region ist immer mehr zu befürchten.

dimanche 1 juin 2008

Artikel erschienen in caucaz.com am 19/11/2007
Von Nicolas LANDRU in Leipzig, übersetzt von Fiona GUTSCH und Gebhard REUL


© Nicolas Landru, Demonstrationen in Tbilisi

Am 2. November versammelte ein Bündnis von Oppositionskräften die größte Zahl von Demonstranten seit der Rosenrevolution von 2003 vor dem Parlament der Hauptstadt. Ziel war es, die Proteste solange fortzusetzen, bis die Regierung auf die Forderungen eingeht. Diese große Demonstration, die bereits Anfang Oktober angekündigt wurde und die von den Veranstaltern nicht zufällig an jene Revolution angelehnt wurde, aus der die derzeitige Regierung ihre Legitimation bezieht, dauerte auch noch fünf Tage später an, auch wenn die Zahl der Teilnehmer leicht abgenommen hat. Nachdem es zu einer Konfrontation zwischen den Sicherheitskräften und den Demonstranten gekommen war, wurde die Demonstration am Morgen des 7. November von Polizeikräften mit Wasserwerfern und Tränengas aufgelöst. In den folgenden Stunden flammten die Proteste an anderen Stellen in Tbilissi wieder auf.

Die größte Demonstration seit der Revolution

Die Regierung beziffert die Zahl derjenigen, die dem Aufruf der Oppositionsführer gefolgt sind, um am 2. und 3. November in Tbilissi zu demonstrieren, mit 25.000. Die Veranstalter sprechen hingegen von mehr als 100.000 Demonstranten, Beobachter von 50.000 Personen. Wie auch immer – diese Versammlung ist die größte Demonstration seit der Rosenrevolution, die Michail Saakaschwili und die derzeitige Regierung an die Macht gebracht hat.

Aus diesem Tatbestand versuchte die Opposition die Berechtigung abzuleiten, die Regierung zur Annahme ihrer Forderungen zu zwingen. Die medienwirksam inszenierte Vorbereitung der Demonstrationen – der Fernsehsender Imedi überträgt sie rund um die Uhr – tat ein Übriges dazu, aus ihnen ein spektakuläres Ereignis zu machen, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatten.

Am Wochenende schienen die Demonstrationen etwas von ihrem anfänglichen Schwung verloren zu haben. Beobachtern zufolge gewannen die Proteste wieder an Zulauf durch die im Fernsehen übertragene Intervention von Okruaschwili, dem langjährigen Weggefährten Saakaschwilis, der zunächst verhaftet, dann gegen Kaution und öffentliches Geständnis wieder freigelassen wurde. Am Dienstag nachmittag sprachen die Organisatoren davon, vor dem georgischen Parlament eine „Zeltstadt“ aufzubauen. Am nächsten Morgen lösten Spezialeinheiten die Versammlung auf, die sich jedoch andernorts wieder formierte.

Die Haltung der Regierung, die sich zu den Demonstrationen bis dahin distanziert verhalten hatte, verhärtete sich spürbar nach dem Fernsehauftritt von Saakaschwili. Einerseits verharmloste der Präsident die gegen ihn gerichteten Angriffe, indem er das Versammlungsrecht in einer Demokratie würdigte, andererseits jedoch brandmarkte er die „politischen Technologien“ der Oppositionsparteien, die er als „Lügenfabrik“ bezeichnete. Besonders scharf fielen die Verbalattacken gegen den Oligarchen Badri Patarkazischwili aus, der einen Teil der Bewegung finanziert und den Sender Imedi besitzt, den die Opposition wiederum als ihr Sprachrohr nutzt. In Folge wurden zwischen Regierung und Opposition gegenseitige Beleidigungen ausgetauscht, die schnell ins Tendenziöse verfielen, inklusive Nazismusvorwürfen mit anti-semitischen und anti-armenischen Untertönen.

Nach der Auflösung der Versammlung vor dem Parlament erklärte die Regierung, dass einige Oppositionsmitglieder an staatsfeindlichen Aktionen beteiligt waren. Aus dem Innenministerium drang die Äußerung, dass die Opposition mit dem russischen Geheimdienst zusammenarbeite. Am 7. November erreichte die verschärfte Rhetorik eine neue Stufe. Auch wenn einige Persönlichkeiten wie der Patriarch der Orthodoxen Kirche zur Besonnenheit mahnten, scheint eine Deeskalation nur schwer möglich, nachdem die Drohungen seitens der Regierung immer konkreter werden.

Die vier Forderungen der Opposition

Die Anführer der Demonstration, die seit dem 2. November vor dem Parlament zum Mikrofon greifen, haben vier Hauptforderungen. Die erste ist, die Parlamentswahlen, die durch Verfassungsänderungen für Ende 2008 vorgesehen waren, auf das Frühjahr vorzuziehen. Der Präsident, der über das Recht verfügt, das genaue Datum festzusetzen, möchte die Parlamentswahlen zum gleichen Zeitpunkt wie die Präsidentschaftswahlen abhalten, wodurch die Sitzungsperiode des Parlamentes verlängert würde. Diese ursprüngliche Entscheidung hat Saakaschwili in seiner Erklärung vom 4. November bestätigt.

Die zweite Forderung betrifft die Unparteilichkeit der zentralen Wahlkommission. Eine solche Forderung diente auch schon der Rosenrevolution als Angriffsspitze. Die Opposition ist der Auffassung, dass sich die Neutralitätsbedingungen nicht verbessert haben, da der Sekretär der Kommission, Lewan Tarchnischwili, über enge Kontakte zur Macht verfüge, obwohl er parteipolitisch neutral sein muss. Die offensichtliche Manipulation der letzten Kommunalwahlen dient der Opposition als Hauptargument für die Forderung, Vertreter aller Parteien in die Kommission aufzunehmen.

An dritter Stelle fordern die Demonstranten eine Reform des Mehrheitswahlsystems. Während in der jetzigen Gesetzgebung vorgesehen ist, dass diejenige Partei, die im jeweiligen Wahlkreis die Mehrheit der Stimmen erhält, ihre Vertreter ins Parlament schickt, soll es nach dem Willen der Opposition in Zukunft möglich sein, Individuen in direkter Wahl als Abgeordnete zu wählen. Durch das Proporzwahlsystem könne verhindert werden, dass diejenige Partei, die am besten aufgestellt ist – zur Zeit ist dies die Regierungspartei Nationale Bewegung – eine erdrückende Mehrheit im Parlament bekomme.

Die vierte Forderung der Opposition ist die Freilassung aller Personen, die als politische Gefangene angesehen werden. Dies bezieht sich vor allem auf den Oppositionsführer Irakli Batiaschwili, der nach dem Urteil des Gerichtshofs von Tbilissi dem swanischen Rebellen Emsar Kwiziani „intellektuelle Hilfe“ geleistet hätte. Am Dienstag, den 6. November, wiederholten die Demonstranten, dass sie erst nach einer Freilassung Batiaschwilis an die Ernsthaftigkeit eines Dialogs mit der Regierung glauben würden.

Die radikalsten Oppositionsführer forderten am Sonntag, den 4. November, den Rücktritt Saakaschwilis, der sich weiterhin zu keinen Zugeständnissen bereit findet. Der einzige Dialog mit der Regierung, mit der Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, blieb ohne Folgen. Eine deutliche politische Attacke der Opposition zielt auf die einflussreichen ehemaligen Mitglieder der NGO „Liberty Institute“, an der Spitze Innenminister Wano Merabischwili und der Abgeordneten Giga Bokeria. Nach Ansicht der Opposition hätten sie alle Macht im Umfeld des Präsidenten an sich gerissen und würden ihn nun als Geisel halten. Seit mehr als einem Jahr wird der Machtklan, der aus dem Liberty Institute hervorgegangen ist, von der Opposition als treibende Kraft einer wachsenden Machtkonzentration angesehen.

Ein Oppositionskonglomerat

Wie lange wird das Bündnis der Oppositionsführer halten, die sich vor dem Parlament versammelt haben und durch die gemeinsamen Forderungen vereint sind? Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil die durch ihre Forderungen geeinten Gruppierungen äußerst heterogen sind. Sie sind aus den unterschiedlichsten Verhältnissen der georgischen Politiklandschaft hervorgegangen und haben sich für die Kundgebung unter dem Namen „Nationalrat einer Vereinten Bewegung“ versammelt. Dazu gehören: Die republikanische Mitte-Rechts Partei von Dawid Usupaschwili; die konservative Partei von Swiad Dsidsiguri; die extrem Rechtspartei „Freiheit“ von Konstantin Gamsachurdia; die extreme linke, populistische Arbeiterpartei von Schalwa Natelaschwili; die unabhängige Partei von Salome Surabischwili „Georgiens Weg“; die Partei der Flüchtlinge aus Abchasien von Paata Dawitaia „Von uns aus“; das Nationalforum von Kacha Schartawa; die Bewegung für ein geeintes Georgien, die neue militaristische Partei des ehemaligen Verteidigungsministers Irakli Okruaschwili; und die ebenfalls militaristische „Georgische Truppe“, von Dschondi Bagaturia.

Alles in allem sind hier alle politischen Tendenzen vertreten, die nicht an der Macht sind, von den ganz neuen Parteien ehemaliger Weggefährten Saakaschwilis bis zu alten swiadistischen Bewegungen, von den Post-Kommunisten über die gemäßigten bis zur äußersten Rechten. Diese Opposition ist durch den Protest gegen die aktuelle Regierung geeint. Sie ist auch strategisch. Aber reicht die Tatsache, in der Opposition zu sein, aus, um einen Block zu bilden, der bis zu den nächsten Wahlen hält? Der Eklektizismus der Bewegung zeugt von ihrer Legitimierung für das Volk, aber auch von ihrer politischen Schwäche.

Hinzu kommt die Unterstützung des Millionärs und Medienmoguls Badri Patarkazischwili, der im Oktober offiziell in die Politik eingestiegen ist, und den die Regierung mit Nachdruck nennt, um die Bewegung zu diskreditieren. Er bietet der Protestbewegung das Medienunternehmen Imedia als Plattform. Experten prognostizieren der Bewegung, die eine reine Front gegen die Regierung ist, kaum ein Bestehen über die mit Hilfe der Bevölkerung durchgeführten Proteste hinaus, noch nicht einmal eine mögliche „Große Koalition“ für die Wahlen 2008.

Wenn aber der Status quo andauert und der Ton von Seiten der Regierung noch schärfer wird, könnte Georgien in einer politischen Krise versinken und die Bewegung einen Wahlblock bilden. War die Bewegung der Rosenrevolution, die Michail Saakaschwili an die Macht brachte, nicht genauso heterogen? Und ist die Ausschaltung der anderen Koalitionspartner nach dem Erringen der Macht nicht der Hauptvorwurf der Opposition? Aber zunächst muss eine gewalttätige Auseinandersetzung, wie sie sich am 7. November ankündigte, vermieden werden.

Ist eine Monarchie in Georgien zeitgemäß?

Artikel erschienen in caucaz.com am 19/11/2007
Von Nicolas LANDRU in Leipzig, übersetzt von Fiona GUTSCH und Monika RADEK


© Nicolas Landru, Thron von Irakli II, dem vorletzten georgischen König (Kachetien)

Die Erklärung des Patriarchen der Orthodoxen Kirche Georgiens Ilia II. vom 7. Oktober, die sich für eine konstitutionelle Monarchie ausspricht, trifft Georgien nach zwei bewegten Wochen und am Tag nach einer schweren politischen Krise wie ein Paukenschlag. Die Mehrheit der Oppositionsparteien, die der Regierung mit ihren Forderungen nach Abschaffung der Regierung und Einführung eines parlamentarischen Systems den Kampf angesagt haben, ist auf diesen Zug mit aufgesprungen. Präsident Saakaschwili reagierte zwar mit Ironie, doch hat die Stimme des überaus angesehenen Patriarchen ein nicht zu überschätzendes Gewicht, insbesondere da keines der politischen Schwergewichte der Regierungspartei Einwände gegen die Erörterung dieser Idee erhob. Am 14. Oktober lobte Michail Saakaschwili anlässlich eines Besuchs des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel sogar die Orthodoxe Kirche und Ilia II. Mehr denn je erscheint die Kirche als ein Akteur der politischen Szene Georgiens, um den man nicht herum kommt.

Die politische Zwietracht – der Bürgerkrieg und die Revolution gehören einer noch sehr jungen Vergangenheit an – , eine immer willkürlichere Rechtsprechung, deutliche Anzeichen für eine präsidentielle Orientierung der Regierung – führen diese Faktoren zur Wiederherstellung einer vor zwei Jahrhunderten verschwundenen Monarchie? Oder zeugt die Idee vielmehr von einer zunehmenden Erstarkung einer national-religiösen Wiedergeburt, die Georgien seit der Rosenrevolution erlebt?

Ein Versuch, aus der Krise herauszukommen?

Die Erklärung des Patriarchen erfolgt zu einem innenpolitisch höchst kritischen Zeitpunkt. Die Spannungen zwischen der Regierungspartei „Nationale Bewegung“ und der Oppositionsbewegung haben seit Ende September eine neue Wendung genommen. Der ehemalige Innenminister, Irakli Okruaschwili, der im November 2007 entlassen wurde, hat mit skandalösen Behauptungen gegen den Präsidenten selbst zum Gegenschlag ausgeholt. Nach drei Tagen medialer Angriffe, in denen eine Anschuldigung nach der anderen folgte, wurde er am 27. September mit dem Vorwurf der Korruption und des Machtmissbrauchs während seiner Amtszeit verhaftet. Eine Koalition aus Oppositionsparteien protestierte gegen die plötzliche Verhaftung Okruaschwilis und die Instrumentalisierung der Justiz, auch wenn einige der Beteiligten ihn bis dato als ihren Erzfeind betrachtet hatten.

Die Festnahme Okruaschwilis, der mehrere Verhaftungen seiner ehemaligen Mitarbeiter vorausgingen, sieht ganz nach einer neuen Etappe von „Säuberungen“ des Präsidententeams und des „Liberty Instituts“ aus (dem unter anderem Innenminister Wano Merabischwili und Giga Boleria angehören), die zum wiederholten Male einen ihrer ehemaligen Verbündeten ausschalten. Laut den Vorwürfen der Opposition stellt sie zudem einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer „Präsidentialisierung“ der Regierung dar.

Einige Tage später eine erneute Wendung: Okruaschwili zieht medienwirksam in einem Geständnis seine Vorwürfe gegen den Präsidenten zurück. Er habe ihn zu Unrecht und auf Drängen des Millionärs und Medienmagnaten Badri Patarkazischwili verleumdet. Dieses Geständnis und 10 Millionen Lari Kaution wiederum verhelfen ihm zur Freiheit. Am 11. Oktober erklärt er seinen Rückzug aus der Politik – und das, nachdem er erst drei Wochen zuvor eine Partei gegründet hatte.

Dieses Ereignis lässt das politische Geschehen in Georgien noch intransparenter erscheinen. Die Rückkehr des kurz nach der Verhaftung Okruaschwilis nach London verreisten Patarkazischwili, seine Ankündigung, aufgrund der schwerwiegenden Ereignisse in die Politik zu gehen sowie die aggressive Rhetorik zwischen ihm und der Regierung lassen für die Präsidentschaftswahlen Ende 2008 ein sehr angespanntes politisches Klima erwarten. In einer Rede am 15. Oktober erklärte Saakaschwili mit scharfen Worten Patarkazichwili zum Prototypen des historischen „Verräters Georgiens“. Zwischen dem Regierungslager und dem Oligarchen herrscht damit Krieg. Die Opposition ihrerseits plant für den 2. November eine Massendemonstration in Tbilissi.

Institutionelle Unsicherheiten

Der Hintergrund dieser Ereignisse ist die Unbestimmtheit des gegenwärtigen politischen Systems Georgiens. Nach der Unabhängigkeit von 1991 ging der Aufbau stabiler demokratischer Institutionen mit zahlreichen Schwierigkeiten einher. Seit dem Bürgerkrieg ließ der Konsens lange auf sich warten und ist auch heute noch nicht vollständig erreicht (insofern, als zwei territoriale Einheiten, die theoretisch zum Land gehören, immer noch nicht Mitglied des Institutionenvertrags sind). Das politische System, das Schewardnadse etablierte, um das Land nach dem Bürgerkrieg zu stabilisieren, war eine hybride und unvollendete Konstruktion. Nichtsdestotrotz ermöglichte es in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die Übernahme einiger Gesetze, die sich an westlichen Modellen orientierten. Anfang 2000 war der Weg zu einem zunehmend unabhängigen Parlament geebnet. Dieser Fortschritt wurde allerdings durch Korruption und Wahlbetrug verlangsamt, zu denen sich die Regierung Schewardnadses verleiten ließ, und endete 2003 schließlich in der „Rosenrevolution“. Seitdem hat die neue Regierung zwar neue Impulse für die Entwicklung öffentlicher Institutionen geschaffen, doch die 2004 erfolgte Novellierung der Verfassung von 1995 führte zu einer deutlichen Schwächung des Parlaments und zu einer Stärkung des präsidentiellen Charakters des Systems.

Im Endeffekt hat die weiterhin gültige Verfassung von 1995 einen provisorischen Charakter. Einige Aspekte des Systems sind immer noch nicht festgelegt; so wurde beispielsweise die Wahlgesetzgebung vor jeder Wahl immer wieder neu verhandelt und gehört bis heute zu den wichtigsten offenen Fragen. „Die Debatte darüber, für was für ein Georgien wir uns entscheiden sollten, dauert an“, sagte der Patriarch in der Einleitung seiner Rechtfertigung der Monarchie. Das gegenwärtige System wird zwar als semi-präsidentiell klassifiziert, von einigen Experten allerdings als „super-präsidentiell“ eingeschätzt. Seine Befürworter sehen in der Erweiterung der Macht des Präsidenten eine vorübergehende Entwicklung auf dem Weg zu einem europäischen System, die aufgrund der Instabilität des georgischen Staats, der schneller Reformen bedürfe, erforderlich sei. Nino Burdschanadse, Parlamentspräsidentin und eine der Hauptverbündeten Saakaschwilis, erklärte am 11. Oktober: „Ein präsidentielles System, insbesondere ein starker Präsident, ist in diesem Stadium sehr wichtig für Georgien“.

Die Betonung des Übergangscharakters ermöglicht der Opposition, die starke Macht des Präsidenten als „ungerecht“ und „realitätsfremd“ anzuprangern. Vor allem wird jeder Entwurf für ein System des Landes denkbar. In diesem Fall wirkt der Appell Ilias II., eine Verfassungsmonarchie nach britischem Vorbild einzuführen, inmitten der Konflikte zwischen der „Nationalen Bewegung“ und der Opposition sowie zwischen den Befürwortern eines präsidentiellen und eines parlamentarischen Systems, wie der Versuch, auf der einen Seite eine zu große Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten, auf der anderen Seite wiederum eine allzu große Schwächung des Staates zu verhindern, die ein parlamentarisches System mit sich führen könnte. Vor allem aber ist es ein Appell an die Einheit und den nationalen Zusammenhalt.

Nationale und religiöse Erneuerung

Die Rosenrevolution war die Ausgangsbasis für einen Aufstieg der Orthodoxen Kirche in Georgien. Nachdem 2002 mit dem Staat ein Konkordat geschlossen wurde (ein privilegierter Status, da die anderen religiösen Organisationen keines haben), lässt sich die Orthodoxe Kirche seit der Revolution öffentlich an der Seite der politischen Machthaber sehen. Und die Regierung zeigt sich mit ihr. Ilia II. hat bei den wichtigsten Zeremonien seinen Platz neben den Mächtigen, obwohl die Orthodoxie nicht den Status einer Staatsreligion hat. Die 2004 eingeführte neue Flagge verwendet das Kreuzsymbol, was bei der alten nicht der Fall war.

Aber nicht nur die Regierung beruft sich auf die Kirche: Die Opposition wird nicht müde, der Regierung mangelnden Respekt vor der Religion nachzusagen. Okruaschwili warf Saakaschwili vor, einen „inneren Hass“ gegen die Religion zu hegen. Seit 2003 ist das Ansehen der religiösen Institution in der öffentlichen Meinung so hoch, dass kein Politiker es wagen kann, sich gegen sie zu positionieren.

Nach außen zeigt sich das Aufblühen der Orthodoxie an den gigantischen kirchlichen Projekten wie dem Bau der monumentalen Dreifaltigkeitskirche (Zminda Sameba) in Tbilissi oder des bereits begonnenen riesigen Klosters in der Darial-Schlucht, einige Kilometer vor der russischen Grenze. Seit einigen Monaten thront die Statue des Heiligen Georg – sowohl ein religiöses wie auch ein nationales Symbol für den Sieg – auf einer Säule auf dem Freiheitsplatz in Tbilissi. Anlässlich des ökumenischen Besuchs am 14. Oktober erklärte Saakaschwili: „Die orthodoxe Kirche ist ein Richtungszeiger für Georgien und eine treibende Kraft zu seiner Erneuerung und baldigen Wiedervereinigung.“

Der Beginn der neuen Regierung ist mit der Wiederfindung einer nationalen Identität verbunden. Der Präsident zögert nicht, sich mit dem mittelalterlichen König David dem Erbauer zu vergleichen. Als ein Zeichen für die Verschmelzung von Nation und Religion als Legitimationsquelle fand ein Teil der Antrittszeremonie Saakaschwilis im Kloster von Gelati statt, wo die Gebeine von König David liegen. Die Regierung bezieht sich ständig auf historische Ereignisse wie die siegreiche Schlacht von Didgori, während die Nationalfolklore fest in das Programm der politischen Veranstaltungen eingebunden ist, vom Besuch George Bushs bis zu den Feierlichkeiten für die Revolution. Der inszenierte Erfolg des „Wiedergewinns“ der georgischen Identität – eine starke politische Legitimationsquelle – gründet auf dem Argument des historischen Rechtsanspruches, der wiederum notwendigerweise von der wichtigen Rolle der orthodoxen Religion ausgeht.

Die Nationale Bewegung beim Wort genommen?

Die Erklärung Ilias II. folgt gewissermaßen dieser Logik bis auf den Grund: Wenn die Revolution laut Anspruch der derzeitigen Regierung ein Synonym für die Rückgewinnung von Territorium, Religion und Identität ist, so ist eine Wiederherstellung des Königreichs Georgien als Ergebnis dieses Prozesses nicht undenkbar. „Seit dem Ende der Herrschaft der Bagrationi durch die russische Annektierung 1801 ist es das Ziel des georgischen Volkes, seine Königsdynastie wieder eingesetzt zu sehen“, erklärte der Patriarch. Sein Vorschlag geht nicht nur in Richtung der kulturellen Bewegung, die seit der Revolution eine Blüte erlebt, sondern auch in die der Verlautbarungen der Nationalen Bewegung selbst, die als Förderer der Demokratie auftritt. Die Errichtung einer Monarchie nach britischem Modell würde aber nicht in Widerspruch mit den Prinzipien der „post-revolutionären“ Macht treten.

Die Opposition hat sofort die Idee einer Monarchie angenommen und bereitet eine Parlamentsdebatte für den 25. Oktober vor. „Wir, die Mehrheit der Oppositionsparteien, glauben, dass wir eine parlamentarische Regierungsform brauchen, und seine perfekte Form ist die konstitutionelle Monarchie“, erklärte am 8. Oktober ein Abgeordneter der Konservativen Partei, Swiad Dsidsiguri. Verschiedene Vertreter der Opposition wie Salome Surabischwili oder Konstantin Gamsachurdia zeigten sich sehr begeistert von der Idee.

Saakaschwili selbst reagierte erst sechs Tage nach der Erklärung des Patriarchen. „Meine Großmutter war auch eine Bagrationi“, meinte er ironisch, „so ist es sogar leichter; das erübrigt den Wahlkampf, und alles kann auf der Ebene von Familientraditionen entschieden werden“. Die Regierungsmehrheit vertrat hingegen die Auffassung, dass eine konstitutionelle Monarchie in der derzeitigen Phase ungeeignet für Georgien sei. Einige Abgeordnete halten sie aber für „denkbar“ nach einer Wiederherstellung der territorialen Integrität des Landes. Nach dieser Logik muss das System vorübergehend präsidentiell sein, um das Land bis zur Rückgewinnung seiner „fehlenden“ Gebiete zu führen, woraufhin dann die definitive Struktur des Landes entschieden werden könne.

Ist das Ganze eine von der Orthodoxen Kirche gelenkte Abwechslung, um die direkte Konfrontation zwischen der Regierung und der Opposition zu verhindern? Ist es ein wirkliches Projekt, das laut Ilia II. „allerdings Jahre dauern wird“? In jedem Fall markiert das Heraufbeschwören einer möglichen Wiederherstellung des georgischen Königtums eine neue Stufe sowohl im Gleichgewicht der internen politischen Streitereien als auch in der ideologischen Entwicklung im post-revolutionären Georgien. Diese Idee könnte sehr wohl für viele Georgier die einzige Gewähr gegen das Gespenst der inneren Zerstrittenheit sein. Die direkten Nachfahren des letzten georgischen Königs, Georg XII Bagrationi, wird diese Idee freilich nicht wenig überraschen. Denn falls das Projekt Wirklichkeit werden sollte, wie es in Bulgarien der Fall gewesen ist, dann wird ein Streit um den Platz auf dem Thron ausbrechen. Dieser könnte nämlich von verschiedenen Mitgliedern der ehemaligen Königsfamilie, die heute in Spanien, Italien und Georgien lebt, beansprucht werden.

Georgien: Die Regionalpresse im Zentrum des Ungleichgewichts zwischen Hauptstadt und Regionen

Artikel erschienen in caucaz.com am 30/05/2007
Von Nicolas Landru in Tbilissi, übersetzt von Fiona Gutsch



© Nicolas Landru, Mtkvari-Tal in Schida Kartli

Das 2004 ins Leben gerufene Projekt „Entwicklung der georgischen Regionalmedien und öffentliche Verantwortung“ gehört zu den von der Europäischen Kommission in Georgien umgesetzten Projekten. Es beinhaltete eine Untersuchung zu den regionalen Medien, von denen schließlich fünf Zeitungen aus unterschiedlichen Regionen ausgewählt wurden, die eine finanzielle Unterstützung und eine Betreuung bekamen. Betrachtet man die Medien, vor allem die Presse, als einen Bereich, der entwickelt werden muss, um den Mängeln und der Benachteiligung der georgischen Regionen zu begegnen, so deckt das Projekt der Europäischen Kommission ebenso die Schwächen der Medienlandschaft des Landes außerhalb von Tbilissi auf. Die folgende Bestandsaufnahme der regionalen Medienlandschaft in Georgien stützt sich unter anderem auf Aussagen von Mitgliedern der Forschungsgruppe einer der Organisationen, die das Projekt umgesetzt haben, der georgischen NGO Kaukasisches Institut für Frieden, Demokratie und Entwicklung (CIPDD)*.

Seit der Sowjetzeit ist die Zahl der bestehenden und funktionierenden Medien stark zurückgegangen. Viele der Zeitungen, die aus dieser Zeit stammen und auf dem Papier existieren, bringen wenn überhaupt, dann nur selten eine Ausgabe heraus. Im Zuge einer Werbekampagne für einen Geschäftsmann, einen Politiker oder eine Organisation kann es passieren, dass eine Zeitung eine oder zwei Nummern herausbringt, um dann die Aktivität sofort wieder einzustellen. Teilweise wird ein Blatt ins Leben gerufen, um dann sofort wieder zu verschwinden.

In Sugdidi, der Hauptstadt von Mingrelien, sind fünf Zeitungen registriert, von denen aber nur eine einzige aktiv ist. In Achalziche in Samzche-Dschawachetien erscheint nur eine von drei offiziell gemeldeten Zeitungen. Für diejenigen, die wöchentliche oder monatliche Ausgaben veröffentlichen können (Tageszeitungen sind zu teuer), ist die Auflage sehr begrenzt. 300 Exemplare sind schon eine gute Zahl.

Finanzielle Schwierigkeiten

Obwohl eine Regionalzeitung nur rund sechs bis acht Journalisten, drei oder vier Computer und Druckmaterial benötigt, um funktionieren zu können, stehen vielen Regionen diese Mittel nicht zur Verfügung.

Städte wie Kutaissi, Batumi oder Gurdschaani, in denen funktionierende unabhängige Zeitungen bestehen, verfügen über genügend Mittel sowie ausgebildete und einsatzbereite Profis. In Kwemo-Kartli dagegen gibt es für eine unabhängige Presse zu wenig Journalisten .

In Marneuli, einem regionalen Zentrum, gibt es überhaupt keinen Journalisten.Und selbst wenn die Mittel auf regionaler Ebene vorhanden sind, gibt es wenige Journalisten, die mit einem Minimalbudget von ungefähr 4000 Lari (ca. 1777 Euro) pro Jahr für die Arbeit ausgestattet sind. Eine Zeitung muss von der Lokalregierung, einem Mäzen oder einer Spenderorganisation unterstützt werden, um überhaupt publizieren zu können. Das ist bei den wenigsten der Fall. Es gibt in Georgien kein Medienkonsortium, das genügend entwickelt wäre, um in die Regionalpresse investieren zu können.

Selbst wenn ein Medium genügend Unterstützung bekommt, um publizieren zu können, und genügend Personal in der Region zur Verfügung steht, stellt sich das Problem der Entlohnung: die guten Journalisten wenden sich häufig lieber einer einträglicheren Stelle bei einer NGO oder der Lokalregierung zu.

Schwierige Verbreitung

Die fehlende Infrastruktur in den Regionen stellt ein großes Problem für die Verbreitung von Regionalzeitungen dar. Da das Postsystem mit der Auflösung der Sowjetunion zusammengebrochen ist, gibt es keinen staatlichen Zustellungsdienst. Die Medien in Tbilissi haben ihre Zustellung selbst organisiert, aber die Lokalmedien haben mit ihren minimalen Mitteln keine Möglichkeit dazu. Bestenfalls liefern sie ihre Ausgaben durch eigene Mittel an die Geschäfte oder ihre Abonnementen aus.

Auf dem Land allerdings und auch in manchen Städten gibt es jedoch keine Verkaufsstellen, und die Abonnenten müssen ihre Zeitung selbst bei der Redaktion abholen. In Ninozminda in Dschawachetien erhält nur die Stadtverwaltung in unregelmäßigen Abständen Zeitungen. Sie werden anschließend teilweise verteilt, vor allem an Bekannte und Verwandte der Mitglieder der Verwaltung.

Der Mangel an einem regelmäßigen und transparenten Zustellungssystem verstärkt nur die Unterschätzung der bestehenden regionalen Medien durch die Lokalbevölkerung.

Staatliche und unabhängige Medien

Eine weitere Tatsache, eher politischer Natur, gestaltet die Situation der Lokalmedien je nach Region oder Ort höchst unterschiedlich. Allgemein gibt es zwei Arten von Medien: unabhängige, die ihre eigenen Finanzquellen finden müssen, und Medien der Lokalregierungen.

In Schida Kartli, in der Region von Gori, ist die Lokalregierung autoritär und die Verwaltung besonders korrupt, was den Druck auf mögliche unabhängige Medien erhöht. In Gori gibt es davon überhaupt keine. Die Volkszeitung (Chalchis Gaseti), die anfangs von der Europäischen Kommission unterstützt wurde, konnte die geforderten Zielmarken nicht erreichen, so dass die Europäsche Kommission ihre Unterstützung zurückzog und das Blatt seine Arbeit wieder eingestellt hat.

In Telawi, der Verwaltungshauptstadt von Kachetien im Osten Georgiens, gibt es mehrere staatliche Zeitungen, aber keine einzige unabhängige. In Gurdschaani dagegen, einer in vielerlei Hinsicht sehr dynamischen Stadt, gibt es gleich vier unabhängige Zeitungen und nur eine der Regionalregierung.

Neben den Fällen, in denen die Regierung Druck ausübt, um die Medien mundtot zu machen, lässt sich in manchen Regionen mit clanartigen sozialen Strukturen wie Dschawachetien oder Mingrelien eine Verflechtung von Medienmitarbeitern mit der Lokalpolitik beobachten. Aus diesem Grund gibt es in Städten, wo die Medien auswärtige Profis anstellen können, mehr Chancen für die Entwicklung einer unabhängigen Presse.

Informationsgehalt und öffentliche Nachfrage

Es versteht sich von selbst, dass sich der Informationsgehalt zwischen unabhängigen Medien und Regierungsmedien unterscheiden kann. Generell sprechen Zeitungen, die von lokalen Regierungen betrieben werden, soziale Fragen nur selten an.Am ehesten findet man dort Informationen über geplante und umgesetzte Regierungsprojekte, Nachrufe, Ankündigungen religiöser und öffentlicher Feiern oder Artikel über die lokale Folklore. Den Kern der Leserschaft dieser Zeitungen bilden meistens Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung.

Die Ergebnisse der Forschungsgruppe des CIPDD machen deutlich, dass es von Seiten der regionalen Bevölkerung durchaus eine Nachfrage nach Zeitungen geben könnte, wenn die Inhalte konsistenter und die Themen näher an den Problemen wären, die die Bevölkerung betreffen. Die im Rahmen des Projekts der Europäischen Kommission in Achalziche ins Leben gerufene Zeitung Tor des Südens (Samkhretis Karibtche), die auf georgisch und armenisch herausgegeben wird und die einzige unabhängige Zeitung der Region darstellt, hat ihre Auflage seit ihrer Gründung 2004 von 600 auf 2300 Exemplare die Woche erhöht. Als weiteres Beispiel lässt sich das Neue Blatt (Akhali Gazeti) aus Kutaissi anführen, eine Zeitung, die ebenfalls seit 2004 von der Europäischen Kommission unterstützt wird und dank ihrer informativen und genauen Berichterstattung einen gewissen Erfolg erlangen konnte. Indem sie in ihrer Berichterstattung den Fokus darauf legte, wie die nationalen Reformen in Kutaissi umgesetzt wurden und welche Bedeutung sie für die gesamte Region Imeretiens haben, hat die Zeitung es geschafft, sich einen Stamm an regelmäßigen Lesern aufzubauen.

Ungleichgewicht zwischen regionalen und nationalen Medien

Die Konkurrenz mit Zeitungen aus Tbilissi, mit dem Radio und dem Fernsehen, das immer allgegenwärtiger wird, stellt die regionale Presse vor eine harte Herausforderung. Die Tbilisser Wochenzeitung Wöchentliche Palette (Kveris Palitra) verfügt über eine Auflage von 80.000 Exemplaren pro Woche und leistungsstarke Distributionskanäle. Sie wird folglich mehr gelesen als die lokalen Zeitungen, obwohl die letzteren eine ganz andere Attraktion haben könnten, wenn sie ihre Inhalte stärker nach ihren Lesern ausrichten würden.

Einige Zeitungen aus Tbilissi verfügen über Korrespondenten in den Regionen. Meistens sind diese jedoch in den regionalen Hauptstädten angesiedelt. In vielen Fällen sind es sogar die Journalisten aus Tbilissi selbst, die sich vor Ort begeben, wenn es etwas wichtiges zu berichten gibt. Die fehlende regionale Verankerung der nationalen Presse führt zu einer verarmten, diskontinuierlichen Berichterstattung über die Regionen.

Die Dominanz der zentralen Presse gegenüber der regionalen kann nur eine für die Regionen ungünstige soziopolitische Tragweite zur Folge haben. Die Regionen befinden sich häufig am Rande der gesellschaftlichen Debatten, die in den Medien ausgetragen werden, was direkte Konsequenzen sowohl für das Engagement der Eliten als auch die Zivilgesellschaft hat.

Positive Entwicklungen

In einem derart ungünstigen Zusammenhang scheint die Initiative der Europäischen Kommission ihre Früchte zu tragen. Von den 5 unterstützten Zeitungen haben 4 in ihrer jeweiligen Region die Führung erlangt, was deutlich macht, dass - finanzielle Sicherheit vorausgesetzt - einige Regionen des Landes durchaus die Möglichkeit haben, unabhängige Medien aufzubauen, die stabil und produktiv sind. Anfang 2007 wurde ein weiteres Projekt lanciert, das von der Kommission getragen wird : Unabhängige Medien für zivile Integration. Es zielt auf zwei georgische Regionen mit einer hohen Konzentration ethnischer Minderheiten , der aserbaidschanischen in Kvemo Kartli und der armenischen in Samzche-Dschawachetien. Die Entwicklung unabhängiger Medien in diesen Regionen soll die gesellschaftliche Integration dieser Minderheiten in Georgien fördern.

Die Projekte der Europäischen Kommission sind nicht die einzigen Beispiele einer positiven Entwicklung in der regionalen Presselandschaft. Als erstes wäre Adscharien zu nennen, das mit dem Status als Autonome Republik eine starke Infrastruktur im Bereich der Medien geerbt hat. Die Zeitung aus Batumi (Gazeti Batumelebi) ist zwar ebenfalls Teil des Projekts der Europäischen Kommission, sie ist jedoch nicht das einzige starke Medium in Adscharien. Auch wenn sie nicht immer von hoher Qualität sind, so sind sowohl das Fernsehen, das Radio als auch die Zeitungen solide etabliert und relativ funktionstüchtig. Auch wenn es manchmal etwas übertrieben erscheint, vom „adscharischen Modell“ zu reden, so hat die Region das Potential, ein reelles Gegengewicht zu Tbilissi zu bieten.

Darüber hinaus gibt es auch das Beispiel Gurianiosi, einer Wochenzeitung der Region Gurien, die über eine hohe Auflage verfügt, in der gesamten Region verkauft wird und sich einer reeller Leserschaft erfreut. Die Zeitung schafft es, sich über ihre Verkaufserlöse, Anzeigen und Kooperationen mit diversen internationalen Organisationen selbst zu finanzieren. Zwar sagt man gern in Georgien, dass der Grund für diesen Erfolg in der starken Mobilisierung der gurischen Zivilgesellschaft zu suchen ist. Das zeigt doch aber wiederum, dass die genannten Probleme, die die regionalen Zeitungen Georgien an ihrer Entwicklung behindern, nicht gänzlich naturgegeben und unvermeidlich sind.

*Interviews mit Mitgliedern des Forschungsteams des CIPDD : Giorgi Shubitidze, Malkhaz Saldadze und Paata Gurgenidze