Von Nicolas Landru in Tbilissi, übersetzt von Fiona Gutsch
© Nicolas Landru, Mtkvari-Tal in Schida Kartli
Das 2004 ins Leben gerufene Projekt „Entwicklung der georgischen Regionalmedien und öffentliche Verantwortung“ gehört zu den von der Europäischen Kommission in Georgien umgesetzten Projekten. Es beinhaltete eine Untersuchung zu den regionalen Medien, von denen schließlich fünf Zeitungen aus unterschiedlichen Regionen ausgewählt wurden, die eine finanzielle Unterstützung und eine Betreuung bekamen. Betrachtet man die Medien, vor allem die Presse, als einen Bereich, der entwickelt werden muss, um den Mängeln und der Benachteiligung der georgischen Regionen zu begegnen, so deckt das Projekt der Europäischen Kommission ebenso die Schwächen der Medienlandschaft des Landes außerhalb von Tbilissi auf. Die folgende Bestandsaufnahme der regionalen Medienlandschaft in Georgien stützt sich unter anderem auf Aussagen von Mitgliedern der Forschungsgruppe einer der Organisationen, die das Projekt umgesetzt haben, der georgischen NGO Kaukasisches Institut für Frieden, Demokratie und Entwicklung (CIPDD)*.
Seit der Sowjetzeit ist die Zahl der bestehenden und funktionierenden Medien stark zurückgegangen. Viele der Zeitungen, die aus dieser Zeit stammen und auf dem Papier existieren, bringen wenn überhaupt, dann nur selten eine Ausgabe heraus. Im Zuge einer Werbekampagne für einen Geschäftsmann, einen Politiker oder eine Organisation kann es passieren, dass eine Zeitung eine oder zwei Nummern herausbringt, um dann die Aktivität sofort wieder einzustellen. Teilweise wird ein Blatt ins Leben gerufen, um dann sofort wieder zu verschwinden.
In Sugdidi, der Hauptstadt von Mingrelien, sind fünf Zeitungen registriert, von denen aber nur eine einzige aktiv ist. In Achalziche in Samzche-Dschawachetien erscheint nur eine von drei offiziell gemeldeten Zeitungen. Für diejenigen, die wöchentliche oder monatliche Ausgaben veröffentlichen können (Tageszeitungen sind zu teuer), ist die Auflage sehr begrenzt. 300 Exemplare sind schon eine gute Zahl.
Finanzielle Schwierigkeiten
Obwohl eine Regionalzeitung nur rund sechs bis acht Journalisten, drei oder vier Computer und Druckmaterial benötigt, um funktionieren zu können, stehen vielen Regionen diese Mittel nicht zur Verfügung.
Städte wie Kutaissi, Batumi oder Gurdschaani, in denen funktionierende unabhängige Zeitungen bestehen, verfügen über genügend Mittel sowie ausgebildete und einsatzbereite Profis. In Kwemo-Kartli dagegen gibt es für eine unabhängige Presse zu wenig Journalisten .
In Marneuli, einem regionalen Zentrum, gibt es überhaupt keinen Journalisten.Und selbst wenn die Mittel auf regionaler Ebene vorhanden sind, gibt es wenige Journalisten, die mit einem Minimalbudget von ungefähr 4000 Lari (ca. 1777 Euro) pro Jahr für die Arbeit ausgestattet sind. Eine Zeitung muss von der Lokalregierung, einem Mäzen oder einer Spenderorganisation unterstützt werden, um überhaupt publizieren zu können. Das ist bei den wenigsten der Fall. Es gibt in Georgien kein Medienkonsortium, das genügend entwickelt wäre, um in die Regionalpresse investieren zu können.
Selbst wenn ein Medium genügend Unterstützung bekommt, um publizieren zu können, und genügend Personal in der Region zur Verfügung steht, stellt sich das Problem der Entlohnung: die guten Journalisten wenden sich häufig lieber einer einträglicheren Stelle bei einer NGO oder der Lokalregierung zu.
Schwierige Verbreitung
Die fehlende Infrastruktur in den Regionen stellt ein großes Problem für die Verbreitung von Regionalzeitungen dar. Da das Postsystem mit der Auflösung der Sowjetunion zusammengebrochen ist, gibt es keinen staatlichen Zustellungsdienst. Die Medien in Tbilissi haben ihre Zustellung selbst organisiert, aber die Lokalmedien haben mit ihren minimalen Mitteln keine Möglichkeit dazu. Bestenfalls liefern sie ihre Ausgaben durch eigene Mittel an die Geschäfte oder ihre Abonnementen aus.
Auf dem Land allerdings und auch in manchen Städten gibt es jedoch keine Verkaufsstellen, und die Abonnenten müssen ihre Zeitung selbst bei der Redaktion abholen. In Ninozminda in Dschawachetien erhält nur die Stadtverwaltung in unregelmäßigen Abständen Zeitungen. Sie werden anschließend teilweise verteilt, vor allem an Bekannte und Verwandte der Mitglieder der Verwaltung.
Der Mangel an einem regelmäßigen und transparenten Zustellungssystem verstärkt nur die Unterschätzung der bestehenden regionalen Medien durch die Lokalbevölkerung.
Staatliche und unabhängige Medien
Eine weitere Tatsache, eher politischer Natur, gestaltet die Situation der Lokalmedien je nach Region oder Ort höchst unterschiedlich. Allgemein gibt es zwei Arten von Medien: unabhängige, die ihre eigenen Finanzquellen finden müssen, und Medien der Lokalregierungen.
In Schida Kartli, in der Region von Gori, ist die Lokalregierung autoritär und die Verwaltung besonders korrupt, was den Druck auf mögliche unabhängige Medien erhöht. In Gori gibt es davon überhaupt keine. Die Volkszeitung (Chalchis Gaseti), die anfangs von der Europäischen Kommission unterstützt wurde, konnte die geforderten Zielmarken nicht erreichen, so dass die Europäsche Kommission ihre Unterstützung zurückzog und das Blatt seine Arbeit wieder eingestellt hat.
In Telawi, der Verwaltungshauptstadt von Kachetien im Osten Georgiens, gibt es mehrere staatliche Zeitungen, aber keine einzige unabhängige. In Gurdschaani dagegen, einer in vielerlei Hinsicht sehr dynamischen Stadt, gibt es gleich vier unabhängige Zeitungen und nur eine der Regionalregierung.
Neben den Fällen, in denen die Regierung Druck ausübt, um die Medien mundtot zu machen, lässt sich in manchen Regionen mit clanartigen sozialen Strukturen wie Dschawachetien oder Mingrelien eine Verflechtung von Medienmitarbeitern mit der Lokalpolitik beobachten. Aus diesem Grund gibt es in Städten, wo die Medien auswärtige Profis anstellen können, mehr Chancen für die Entwicklung einer unabhängigen Presse.
Informationsgehalt und öffentliche Nachfrage
Es versteht sich von selbst, dass sich der Informationsgehalt zwischen unabhängigen Medien und Regierungsmedien unterscheiden kann. Generell sprechen Zeitungen, die von lokalen Regierungen betrieben werden, soziale Fragen nur selten an.Am ehesten findet man dort Informationen über geplante und umgesetzte Regierungsprojekte, Nachrufe, Ankündigungen religiöser und öffentlicher Feiern oder Artikel über die lokale Folklore. Den Kern der Leserschaft dieser Zeitungen bilden meistens Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung.
Die Ergebnisse der Forschungsgruppe des CIPDD machen deutlich, dass es von Seiten der regionalen Bevölkerung durchaus eine Nachfrage nach Zeitungen geben könnte, wenn die Inhalte konsistenter und die Themen näher an den Problemen wären, die die Bevölkerung betreffen. Die im Rahmen des Projekts der Europäischen Kommission in Achalziche ins Leben gerufene Zeitung Tor des Südens (Samkhretis Karibtche), die auf georgisch und armenisch herausgegeben wird und die einzige unabhängige Zeitung der Region darstellt, hat ihre Auflage seit ihrer Gründung 2004 von 600 auf 2300 Exemplare die Woche erhöht. Als weiteres Beispiel lässt sich das Neue Blatt (Akhali Gazeti) aus Kutaissi anführen, eine Zeitung, die ebenfalls seit 2004 von der Europäischen Kommission unterstützt wird und dank ihrer informativen und genauen Berichterstattung einen gewissen Erfolg erlangen konnte. Indem sie in ihrer Berichterstattung den Fokus darauf legte, wie die nationalen Reformen in Kutaissi umgesetzt wurden und welche Bedeutung sie für die gesamte Region Imeretiens haben, hat die Zeitung es geschafft, sich einen Stamm an regelmäßigen Lesern aufzubauen.
Ungleichgewicht zwischen regionalen und nationalen Medien
Die Konkurrenz mit Zeitungen aus Tbilissi, mit dem Radio und dem Fernsehen, das immer allgegenwärtiger wird, stellt die regionale Presse vor eine harte Herausforderung. Die Tbilisser Wochenzeitung Wöchentliche Palette (Kveris Palitra) verfügt über eine Auflage von 80.000 Exemplaren pro Woche und leistungsstarke Distributionskanäle. Sie wird folglich mehr gelesen als die lokalen Zeitungen, obwohl die letzteren eine ganz andere Attraktion haben könnten, wenn sie ihre Inhalte stärker nach ihren Lesern ausrichten würden.
Einige Zeitungen aus Tbilissi verfügen über Korrespondenten in den Regionen. Meistens sind diese jedoch in den regionalen Hauptstädten angesiedelt. In vielen Fällen sind es sogar die Journalisten aus Tbilissi selbst, die sich vor Ort begeben, wenn es etwas wichtiges zu berichten gibt. Die fehlende regionale Verankerung der nationalen Presse führt zu einer verarmten, diskontinuierlichen Berichterstattung über die Regionen.
Die Dominanz der zentralen Presse gegenüber der regionalen kann nur eine für die Regionen ungünstige soziopolitische Tragweite zur Folge haben. Die Regionen befinden sich häufig am Rande der gesellschaftlichen Debatten, die in den Medien ausgetragen werden, was direkte Konsequenzen sowohl für das Engagement der Eliten als auch die Zivilgesellschaft hat.
Positive Entwicklungen
In einem derart ungünstigen Zusammenhang scheint die Initiative der Europäischen Kommission ihre Früchte zu tragen. Von den 5 unterstützten Zeitungen haben 4 in ihrer jeweiligen Region die Führung erlangt, was deutlich macht, dass - finanzielle Sicherheit vorausgesetzt - einige Regionen des Landes durchaus die Möglichkeit haben, unabhängige Medien aufzubauen, die stabil und produktiv sind. Anfang 2007 wurde ein weiteres Projekt lanciert, das von der Kommission getragen wird : Unabhängige Medien für zivile Integration. Es zielt auf zwei georgische Regionen mit einer hohen Konzentration ethnischer Minderheiten , der aserbaidschanischen in Kvemo Kartli und der armenischen in Samzche-Dschawachetien. Die Entwicklung unabhängiger Medien in diesen Regionen soll die gesellschaftliche Integration dieser Minderheiten in Georgien fördern.
Die Projekte der Europäischen Kommission sind nicht die einzigen Beispiele einer positiven Entwicklung in der regionalen Presselandschaft. Als erstes wäre Adscharien zu nennen, das mit dem Status als Autonome Republik eine starke Infrastruktur im Bereich der Medien geerbt hat. Die Zeitung aus Batumi (Gazeti Batumelebi) ist zwar ebenfalls Teil des Projekts der Europäischen Kommission, sie ist jedoch nicht das einzige starke Medium in Adscharien. Auch wenn sie nicht immer von hoher Qualität sind, so sind sowohl das Fernsehen, das Radio als auch die Zeitungen solide etabliert und relativ funktionstüchtig. Auch wenn es manchmal etwas übertrieben erscheint, vom „adscharischen Modell“ zu reden, so hat die Region das Potential, ein reelles Gegengewicht zu Tbilissi zu bieten.
Darüber hinaus gibt es auch das Beispiel Gurianiosi, einer Wochenzeitung der Region Gurien, die über eine hohe Auflage verfügt, in der gesamten Region verkauft wird und sich einer reeller Leserschaft erfreut. Die Zeitung schafft es, sich über ihre Verkaufserlöse, Anzeigen und Kooperationen mit diversen internationalen Organisationen selbst zu finanzieren. Zwar sagt man gern in Georgien, dass der Grund für diesen Erfolg in der starken Mobilisierung der gurischen Zivilgesellschaft zu suchen ist. Das zeigt doch aber wiederum, dass die genannten Probleme, die die regionalen Zeitungen Georgien an ihrer Entwicklung behindern, nicht gänzlich naturgegeben und unvermeidlich sind.
*Interviews mit Mitgliedern des Forschungsteams des CIPDD : Giorgi Shubitidze, Malkhaz Saldadze und Paata Gurgenidze
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