Von Nicolas LANDRU in Voiron
Übersetzt von Astrid HAGER
Artikel erschienen in Caucaz.com
Nach der georgischen Offensive in der Nacht vom 8. August 2008 in der Separatistischen Republik Südossetien, scheint dieser Teil des Kaukasus schier zu brennen. Nach einem halben Tag Blitzoffensive seitens der georgischen Armee, die anfänglich zahlreiche Stellungen einnehmen konnte, trat Russland ostentativ in die Kampfhandlungen ein, um den südossetischen separatistischen Milizen seinen starken Arm zu reichen, und machte somit den Konflikt zu einem ausgewachsenen russisch-georgischen Krieg.
Die Wochen der Spannungen zwischen Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien mündeten in häufigem tödlichen Geplänkel zwischen südossetischen Milizen und georgischen Streitkräften. In der Nacht vom 7. zum 8. August startete Tbilissi einen massiven Angriff gegen die südossetischen Stellungen um die Hauptstadt der Separatisten Zchinwali.
Am Abend des 7. August erklärte Mamuka Kuraschwili, Vertreter des georgischen Verteidigungsministeriums, die südossetische Seite habe gegen die von Präsident Saakaschwili vorgeschlagene Waffenruhe verstoßen, indem sie ein georgisches Dorf beschossen habe. In der Konsequenz habe, so Kuraschwili, „die georgische Seite beschlossen, die verfassungsrechtliche Ordnung in der gesamten Region wieder herzustellen“.
Am 8. August, gegen ein Uhr morgens, einige Stunden nachdem der georgische Präsident Michail Saakaschwilli die allgemeine Waffenruhe vorgeschlagen hatte, nahm die georgische Armee die separatistischen Milizen in den Vororten der „Hauptstadt“ Zchinwali unter Beschuss. Dann unternahm sie eine großangelegte Panzeroffensive, um die Stadt einzukesseln. Am Vormittag des 8. August schienen die georgischen Streitkräfte acht südossetische Dörfer eingenommen zu haben und in die Außenviertel Zchinwalis vorzurücken.
Die russische Intervention
Im Laufe des 8. August passierten russische Panzerkolonnen den Roki-Tunnel, der Nordossetien von Südossetien trennt und somit offiziell die Grenze zwischen Russland und Georgien bildet.
Den georgischen Behörden zufolge sollen russische Militärflugzeuge strategische Punkte in Georgien bombardiert haben, die außerhalb der Konfliktzone liegen. Unter anderem wurde ein Polizeiposten in Kareli getroffen; auch Gori wurde von mehreren Bombenangriffen heimgesucht, wobei es zahlreiche zivile Opfer zu verzeichnen gab. Im Westen Georgiens wurden der Hafen von Poti und eine Militärbasis in Senaki stark zerstört. Im Osten des Landes nahm die russische Luftwaffe den Militärstützpunkt Vaziani in einem Vorort von Tbilissi sowie einen Militärflugplatz in Marneuli unter Beschuss, was ebenfalls mehrere Tote forderte. Auch die in der Nähe gelegene Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline war von den Bombardements betroffen. Zivile Ziele wurden an unterschiedlichen Orten mehrfach angegriffen. Die georgischen Behörden sprachen zudem auch von Cyber-Angriffen, wobei ein Teil des Internetnetzes gekappt wurde. Wichtige Informationsquellen sowie offizielle Seiten waren Ziel der Angriffe. Russland seinerseits dementierte diese Informationen, die größtenteils jedoch von unabhängigen Beobachtern bestätigt wurden.
Im Konfliktgebiet selbst waren die Aussagen beider Seiten über den Verlauf der Auseinandersetzungen widersprüchlich. Am Morgen des 9. Augusts behauptete der georgische Präsident Michail Saakaschwili, dass seine Armee weite Teile Südossetien kontrolliere, darunter auch die Hauptstadt Zchinwali. Die georgischen Behörden erklärten weiter, dass die georgischen Luftstreitkräfte fünf russische Flugzeuge abgeschossen hätten, was von russischer Seite jedoch nicht bestätigt wurde. Die Sprecherin der separatistischen Regierung in Südossetien, Irina Goglojewa, behauptete ihrerseits, die Stadt stehe unter südossetischer Kontrolle. Der russische Verteidigungsminister sprach ebenfalls davon, dass der Gegenangriff erfolgreich verlaufe und die georgischen Stellungen um Zchinwali zerstört worden seien. Es scheint zu stimmen, dass russischen Truppen über Zchinwali mit dem Fallschirm abgesetzt wurden und die Kontrolle über den Großteil der Stadt wiedergewonnen haben.
Humanitäre Hilfe
Auf jeden Fall scheint sicher zu sein, dass der Großteil des Gebiets verlassen wurde und die südossetische Hauptstadt weitgehend einer Ruine gleicht. Ein Journalist von Reuters berichtete von georgischen Soldaten, die erschöpft auf ihrem Rückweg von Zchinwali nach Tbilissi an verlassenen Panzern vorbeizögen, die die Straßen säumten.
Scheinbar ist ein Großteil der Bewohner aus der Kampfzone geflohen, die südossetische Bevölkerung in Richtung Nordossetien, die georgische Bevölkerung ins georgische Kernland. Am Vorabend der georgischen Offensive evakuierten die südossetischen Behörden vorsorglich etwa 500 Personen, hauptsächlich Kinder, und brachten sie nach Nordossetien.
Zugänglichen Quellen zufolge scheint die humanitäre Lage in Südossetien sehr angespannt zu sein. Laut dem Internationalen Roten Kreuz machten es die kriegerischen Auseinandersetzungen unmöglich, humanitäre Hilfe zu leisten und Zchinwali sei von jeglicher externer Hilfe abgeschnitten. Das Stadtkrankenhaus habe seinen Betrieb eingestellt und die Krankenwagen könnten die Tausenden von Verletzten nicht erreichen. Das Internationale Rote Kreuz ruft dringend dazu auf, einen Korridor für humanitäre Hilfe einzurichten.
Der Präsident der separatistischen Republik, Eduard Kokoity spricht von 1600 Toten auf Seiten der Südosseten, eine Größenordnung, die von Beobachtern bestätigt wurde. Am Morgen des 9. August registrierte die georgische Armee 30 Tote. Die russischen Friedenstruppen sprechen von 15 Soldaten, die auf ihrer Seite getötet wurden. Der Beschuss ziviler Ziele auf georgischem Gebiet gibt Anlass zu größter Besorgnis, dass sich die Ereignisse dramatisch zuspitzen könnten, da nun kein Teil Georgiens mehr vor den Bombardements sicher ist.
Dem Kriegslauf entgegen
Beide Seiten bezichtigen sich, die Auseinandersetzungen, die einer Kriegserklärung gleichkommen, angezettelt zu haben und schieben sich gegenseitig die Schuld an der Eskalation des Konflikts zu. So verurteilt Russland den Angriff Georgiens auf seine Friedenstruppen und auf seine Staatsbürger (ein Großteil der südossetischen Bevölkerung besitzt einen russischen Pass). Präsident Michail Saakaschwili prangert seinerseits die Intervention Russlands auf dem zwar de facto von Separatisten kontrollierten aber offiziell zu Georgien gehörenden Territorium scharf an. Er verurteilte auch die Bombardierungen, die, so Saakaschwili, von der russischen Luftwaffe im Kernland Georgiens verübt wurden.
Der Konflikt spitzte sich indes intervallartig zu. Auf russischer Seite bekräftigte Moskau am 8. August , dass eslediglich seine Friedenstruppen in Südossetien unterstütze, die von Tbilissi wiederum beschuldigt werden, auf Seiten der Separatisten zu kämpfen. Am Morgen des 9. August erklärte der russische Generalstab dann, dass die Truppen in der Konfliktregion verstärkt würden. Der russische Präsident Medwedew sprach ebenfalls davon, den georgischen „Aggressor“ bestrafen zu müssen. Der georgische Präsident verhängte am Morgen des 9.August schließlich das Kriegsrecht über Georgien, um den Konflikt kontrollieren zu können.
Michail Saakaschwili berief zudem die 2000 im Irak stationierten georgischen Soldaten an die georgische Front ab. Daneben verfügte er die Generalmobilmachung sämtlicher Streitkräfte und Reservisten, ein Teil der gesunden Männer, die ihren Militärdienst abgeleistet hatten und momentan als solche zur Verfügung standen. Im Laufe des 8. August waren ganze Regimenter zu sehen, die durch die Straßen Tbilissis zogen, um sich an die Front zu begeben; Zeugen berichten von Militärs, die die Einberufenen sogar in ihren Häusern aufgesucht hätten.
Zeitgleich formierten die Behörden Nordossetiens Regimenter aus freiwilligen Söldnern, die sich bereit erklärten den „Brüdern“ im Süden zur Hilfe zu kommen. Von 500 bis einigen Tausend Männern sollen sich schließlich den Stellungen der separatistischen Milizen in Südossetien angeschlossen und die russischen Panzerkolonnen begleitet haben.
Wenn der Krieg in Südossetien die territoriale Integrität Georgiens bedroht, so könnte er auch den Konflikt mit Abchasien neu anheizen, welcher ebenfalls in den vergangenen Wochen von Gewalt geprägt war. Die separatistischen Behörden warfen Georgien vor, während der Truppenbewegungen vom 8. August auch Kräfte an die abchasische Grenze verlagert zu haben.
Welche Rolle kann die internationale Staatengemeinschaft spielen?
Die georgische Offensive wurde am Morgen der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking gestartet, während die Kameras der ganzen Welt auf China gerichtet waren. Dennoch berichteten die Medien auf den Titelseiten neben den Olympischen Spielen auch von einem neuen Krieg im Kaukasus zwischen dem russischen Goliath und dem georgischen David. Im Verlaufe des 8. August rief Michail Saakaschwili die Staatengemeinschaft auf, etwas zu unternehmen, um den russischen Angriff zu stoppen, der „Georgien dazu zwinge, auf das Prinzip der Selbstverteidigung zurückzugreifen“.
Die amerikanische Diplomatie war indes bemüht, ihre Unterstützung für die territoriale Integrität Georgiens zu wiederholen. Während der georgischen Offensive rief die amerikanische Diplomatie die südossetischen Milizen immer wieder auf, ihren Beschuss einzustellen. Nach der russischen Gegenoffensive rief Condolezza Rice Russland dazu auf, seine Truppen aus dem Gebiet Georgiens abzuziehen und seine Luftangriffe einzustellen. Trotz eines flüchtigen Treffens zwischen Wladimir Putin und George Bush am Rande der Eröffnungsfeiern der Olympischen Spiele in Peking, lehnte Russland es kategorisch ab, seine militärische Machtdemonstration abzubrechen.
Dieses Verhalten der beiden Seiten bestätigte in den Augen vieler Geopolitiker das Prisma eines „Konflikts der Großen“, die sich im südossetisch-georgischen „Hinterhof“ gegenüber stehen. Das Scheitern im UN-Sicherheitsrat über eine gemeinsame Erklärung zeigte jedenfalls mehr als deutlich, wie tief die Diskrepanzen zwischen den beiden Mächten sind, zumindest stärker als der Wille, kurzfristig kriegerische Auseinandersetzungen zu stoppen.
Die anderen Staaten haben mit ihrer Reaktion auf sich warten lassen, auch wenn die europäischen Staaten, die NATO, die EU oder der Europarat am Abend des 8. August eine unwiderrufliche Waffenruhe forderten. Die großen internationalen Organisationen schickten dann auch gleich am 9. August Vertreter vor Ort, die versuchen sollten, den Konflikt einzudämmen und ein weiteres Aufflammen der Auseinandersetzungen zu verhindern. Dennoch scheint, dass weder die georgische noch die russische Armee noch die südossetischen Kräfte bereit sind, dem simplen Aufruf nach Frieden nachzukommen. Und das Risiko eines Flächenbrands in der gesamten Region ist immer mehr zu befürchten.
vendredi 8 août 2008
Flächenbrand in Südossetien: kommt es zum russisch-georgischen Krieg?
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