mercredi 28 mai 2008

Das ungewisse Exil von Aser Samedow

Artikel erschienen in caucaz.com am 11/11/2006
Von Nicolas LANDRU in Tbilissi, übersetzt von Myriam GOINARD


© Nicolas Landru - Moschee in Tbilissi


Aser Ramisoglu Samedow, früher einer der Hauptverteidiger der Religionsfreiheit in Aserbaidschan, ist heute Gefangener eines ungewissen Exils in Tbilissi. Er wurde am 31. März von den georgischen Behörden festgenommen, um nach Aserbaidschan ausgeliefert zu werden, wo er vom Alijew-Regime verfolgt wird und wo ihm bis zu sieben Jahre Haft drohen. Dank der Unterstützung von Menschenrechtsaktivisten und der großen Anteilnahme, die seine Festnahme in der georgischen Presse fand, wurde er am 14. April bis zu seiner Verurteilung vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Seit dieser Zeit lebt Aser Samedow vollkommen isoliert, ohne Asylrecht und ohne Pass, und in der Angst, irgendwann ausgeliefert zu werden. Sein Prozess wird am 31. Oktober eröffnet – und es ist gut möglich, dass dieser Status quo sich noch eine ganze Weile hinzieht.


Seit den Tagen nach den Präsidentschaftswahlen vom 15. Oktober 2003, die von der Regierung weitgehend verfälscht wurden, wird von der Staatsanwaltschaft von Baku gegen Samedow ermittelt. Er hatte während der Wahlen eine Gruppe von Wahlbeobachtern geleitet. Am Tag nach den Wahlen fanden Demonstrationen der Opposition statt, die gewaltsam aufgelöst wurden, und Samedow war Zeuge dieser Ereignisse. Er wurde offiziell wegen „Beteiligung an Massenunruhen“ angeklagt. Dies war der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen mit den Behörden, die begonnen hatten, als seine Organisation, das „Kaukasische Zentrum für den Schutz der Gewissens- und Religionsfreiheit“ (DEVAMM), seine Unterstützung für den Oppositionskandidaten Isa Gambar öffentlich gemacht hatte. Andere Mitglieder der Organisation wurden ebenfalls inhaftiert, und die religiöse Gesellschaft Islan-Ittihad, die Samedow leitete, wurde mit der Begründung aufgelöst, sie sei ein Zentrum des islamistischen Extremismus.

Im Jahre 2005 lässt sich Samedow in der georgischen Hauptstadt Tbilissi nieder, wo sich eine bedeutende aserbaidschanische Gemeinde befindet. Er eröffnet dort einen Zweig seiner Organisation DEVAMM, der Kurse und Monitoring im Bereich der Menschenrechte und der Religionsfreiheit anbietet.

Labiles Gleichgewicht zwischen Baku und Tbilissi

Am 31. März 2006 wird er in Tbilissi von georgischen Sicherheitskräften festgenommen und inhaftiert. Der georgische Menschenrechtsaktivist Emil Adelchanow, der die Verteidigung von Samedow übernommen hat, ist der Meinung, dass dabei die legalen Bestimmungen nicht respektiert wurden. Der georgische Innenminister will ihn ausliefern: der Haftbefehl des Staatsanwalts besage, dass die aserbaidschanischen Behörden das Recht haben, in Aserbaidschan über seinen Fall zu urteilen, dass seine Auslieferung keine Gefahr für ihn darstelle, da alle seine früher inhaftierten Mitarbeiter mit Auflagen freigelassen wurden und die Möglichkeit haben, ihn in Tbilissi zu besuchen, dass die georgischen Behörden davon überzeugt seien, dass er sich Georgien nicht als Zufluchtsort ausgesucht habe, sondern als Drehscheibe, um von dort aus agitatorische Tätigkeiten in Aserbaidschan durchzuführen.

Tbilissi hätte also demnach den von Baku übermittelten Haftbefehl bloß ausgeführt. Einige Experten sind jedoch der Meinung, dass Tbilissi sich selber an Baku gewandt hätte, um einen lästigen Gast loszuwerden: er hätte einen Kern von Dissidenten um sich bilden können, und dadurch die politische Treue der aserbaidschanischen Gemeinde in Georgien gefährdet. Hintergrund dieser Überlegungen ist das labile Gleichgewicht zwischen Georgien und Aserbaidschan.

Baku verfügt über zwei Druckmittel gegenüber seinem Nachbarn: auf der einen Seite seine Bodenschätze sowie seine Öl- und Gaspipelines, die für Georgien die einzige Alternative zu Moskau darstellen, auf der anderen Seite die etwa 300.000 Menschen umfassende aserbaidschanische Gemeinde in Georgien, die sich weitgehend den aserbaidschanischen Behörden verpflichtet fühlt. Würden sich die bilateralen Beziehungen verschlechtern, so könnte diese Gemeinde die bisherige passive Loyalität gegenüber Georgien aufkündigen.

Es liegt also im Interesse Tbilissis, einerseits den Erwartungen von Baku entgegenzukommen, andererseits jegliche Streitpunkte zu vermeiden – wie zum Beispiel die Entstehung einer aserbaidschanischen Dissidentengruppe in Georgien, die das Alijew-Regime in Frage stellen würde. Tbilissi muss aber noch weitere Faktoren berücksichtigen. Das Georgien der „Rosenrevolution“ hat sich auf der internationalen Bühne den Ruf einer vorbildlichen postsowjetischen Republik verschafft, die sich für Menschenrechte und Freiheiten einsetzt. Was nun den Fall Samedow betrifft, so hat Georgien die Anti-Folter-Konvention ratifiziert; gleichzeitig wurden aber aus Aserbaidschan zahlreiche Fälle von Misshandlungen gemeldet. Von den 600 Personen, die nach den Präsidentschaftswahlen von 2003 inhaftiert wurden, sollen viele gefoltert worden sein. Diese Ratifizierung steht somit im Widerspruch zu dem im April 2002 abgeschlossenen Abkommen zwischen Tbilissi und Baku im Bereich des Kampfes gegen Terrorismus.

Dieses Dilemma könnte wohl der Grund der vorzeitigen Haftentlassung von Samedow vor seinem Urteil sein. Menschenrechtsorganisation wie die ILMR, Amnesty International und Human Rights Watch haben sich stark für ihn eingesetzt. Die georgische Tageszeitung Resonanzi ist ebenfalls nachdrücklich auf den Samedow-Fall eingegangen. In die Zange genommen zwischen ihren regionalen Verpflichtungen und ihrem internationalen Ruf mussten die georgischen Behörden etwas nachgeben, was einen relativen Erfolg für die Menschenrechte in diesem Land darstellt.

Unter Druck

Samedow befindet sich seitdem in einer aussichtslosen Lage, da er über keine Garantie über einen legalen Status verfügt und in der Angst einer bevorstehenden Zwangsauslieferung lebt. Nachdem die Aufmerksamkeit der Medien nachließ, wendete sich die Gesellschaft von Tbilissi schnell von ihm ab. Nach den 15 Tagen, die er in Haft verbrachte, wurden das ganze Computermaterial und die Gelder seiner Organisation beschlagnahmt und anschließend verschleudert.

Seine Kontaktpersonen in Aserbaidschan, die von den Behörden eng überwacht werden, haben sich von ihm distanziert. Die aserbaidschanische Gemeinde in Tbilissi hat es vermieden, mit ihm in engere Verbindung zu treten, da sie das prekäre Gleichgewicht zwischen beiden Regierungen nicht gefährden will. Die georgischen NGOs haben sich ebenfalls nicht für ihn eingesetzt. Laut Emil Adelchanow „sprechen sie nicht die gleiche Sprache. Die NGOs in Tbilissi interessieren sich weder für die aserbaidschanischen Probleme noch für den Standpunkt eines Aserbaidschaners über die georgischen Probleme.“

Auch die westlichen Diplomaten in Georgien haben sich von jeglicher Stellungnahme ferngehalten. Die Versuche von letztem Sommer, die Aufmerksamkeit der Botschaften oder der OSZE auf diesen Fall zu lenken, haben entweder zu Ohnmachtserklärungen oder zu abwartenden Haltungen geführt. Einige haben behauptet, dass sie erst dann etwas unternehmen würden, wenn sie von der UNHCR dazu aufgefordert werden. Diese lässt sich aber Zeit damit, Stellung zu beziehen.

Der Verteidiger der religiösen Freiheit wird seit seiner Freilassung regelmäßig beschattet und ist dabei permanentem Druck ausgesetzt. In der täglichen Angst, illegal an die aserbaidschanische Grenze gebracht zu werden, hat er den Prozessbeginn in fast totaler Isolierung abgewartet. Emil Adelchanow ist einer der wenigen, der ihn weiterhin unterstützt.

Ein Präzedenzfall

Aser Samedow ist der erste bekannte aserbaidschanische Dissident, der sich für sein Asyl Tbilissi ausgesucht hat. Seine Festnahme, seine mögliche Auslieferung, die Einmischung von Menschenrechtsorganisationen – all das macht aus seiner Geschichte einen Präzedenzfall.

Die Aufmerksamkeit der Medien hat nach seiner Festnahme nachgelassen – ebenso wie in den letzten Wochen die der Leute, die ihn überwachen. Georgien hat andere Prioritäten. Sollte es den Verteidigern der Menschenrechte gelingen, den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten, so ist es wohl möglich, dass sich der Prozess in die Länge zieht.

„Ich sehe heutzutage keine Chance für positive Veränderungen in Aserbaidschan,“ erklärt Samedow. „Die Situation ist schrecklich.“ Das, wofür Georgien im Bereich der Demokratie und der Zivilgesellschaft stehe, sei von höchster Bedeutung für die ganze Kaukasusregion: „Der Weg, den Georgien in Zukunft gehen wird, wird ausschlaggebend sein für die ganze Region.“

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