vendredi 30 mai 2008

Preissteigerungen im Aserbaidschan der zwei Geschwindigkeiten

Artikel erschienen in caucaz.com am 18/02/2007
Von Nicolas LANDRU in Baku, übersetzt von Myriam GOINARD und Monika RADEK


© Nicolas Landru (Der Markt Teze in Baku)

Baku, Anfang 2007. Der Wirtschafts- und Bauboom, den die aserbaidschanische Hauptstadt seit drei Jahren erlebt, ist in vollem Gange. Im Stadtzentrum wie in den Vororten entsteht ein Hochhaus nach dem anderen. Gewaltige Autobahnbrücken werden innerhalb weniger Monate gebaut. Der Fahrzeugmarkt der Stadt ist gesättigt; die Staus auf den Hauptstraßen gehören nun zum alltäglichen Bild der Stadt. Aber dieses Gesicht des aserbaidschanischen Ölkapitalismus hat auch seine Kehrseite. Die Regierung, die die gesamte Wirtschaft kontrolliert, hat am 6. Januar 2007 beschlossen, die Energiepreise für die Haushalte zu verdoppeln, was sich auf den gesamten Binnenmarkt auswirken wird. Ein schwerer Schlag für die Mehrheit der Bevölkerung, der es immer schwerer fällt, bei diesen Entwicklungen mitzuhalten.

In den aserbaidschanischen Medien wurde zu Beginn des Jahres 2007 eine eindrucksvolle Anzahl an gebrochenen Rekorden der nationalen Wirtschaft aufgelistet. Der Handelsüberschuss habe im Jahre 2006 650% betragen, berichtet Today.az. Das Kapital der Azerdemijolbank sei um 79%, das der Azerneqliyyatbank um 46% und das der Azerbaijan Industry Bank um 60% gestiegen.

Das Nominalkapital der aserbaidschanischen Versicherungsfirmen habe ein Wachstum von 22,4% erlebt; die in die aserbaidschanische Wirtschaft investierten Ausleihen seien um 64% gestiegen.Vor dem Hintergrund von Gas- und Ölexporten und zunehmenden ausländischen Investitionen sind die Baupreise in Baku regelrecht explodiert. Innerhalb von zwei Jahren hat dieses Lieblingsgebiet der aserbaidschanischen Investoren ein Ausmaß erreicht, das sich an die Gegebenheiten der großen europäischen Hauptstädte annähert. Zum Vergleich: während es fast unmöglich ist, eine Mietwohnung unter 600 Manat monatlich zu finden, beträgt der am 1. Februar 2007 von der Regierung festgelegte Mindestlohn 50 Manat. Dieser Markt hat sich in Ausrichtung auf die internationale Gemeinschaft entwickelt, die in Aserbaidschan arbeitet und völlig neben der sozialen Wirklichkeit des Landes lebt.

Der Preisanstieg vom 6. Januar 2007 erklärt sich jedoch nicht aus den Marktschwankungen: in Aserbaidschan werden die Energiepreise vom Tarifrat festgelegt, einem vom Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung abhängigen Regierungsorgan. Bis heute werden die Preise vom Staat subventioniert, der die Preise drückt und somit eine Liberalisierung des Markts verhindert, die sich der Regierungskontrolle entziehen würde. Dieses System hatte kritische Stimmen der internationalen Wirtschaftsorganisationen laut werden lassen, mit dem Argument, diese Politik isoliere Aserbaidschan von der Weltwirtschaft.

Eine Erklärung des Vorsitzenden des aserbaidschanischen Vertretung des Internationalen Währungsfonds (IWF), Basil B. Zavoico, vom November 2004 fasst die Politik seiner Organisation gegenüber diesem Land so zusammen: „Nachdem die Kurse des Euro und des US-Dollar gestiegen sind, ist der Preis eines Mercedes ebenfalls nach oben gegangen. Dennoch kaufen die aserbaidschanischen Konsumenten ihn weiter. Keiner beklagt sich darüber. Warum sollte es im Energiebereich anders sein?“

Im Juni 2006 forderte der Vertreter der Niederlassung der Weltbank in Baku, Viktor Kramarenko, die Regierung dazu auf, ihre Zuschüsse zu reduzieren, um eine „Zunahme der sozialen Ausgaben“ zu ermöglichen.

Entsprechend der internationalen Nachfrage beschloss der Tarifrat daraufhin, die Gas- und Ölpreise zu erhöhen. Die Kosten für Benzin sind in der Folge um 50% gestiegen und seitdem in Aserbaidschan (0,65 USD) teurer als in den USA (0,62 USD). Der Dieselpreis stieg um 25%, das Kerosin um das 2,3-fache; das Heizöl wurde um das 3,3-fache teurer. Der Strompreis stieg um den Rekordprozentsatz von 650%.

Dieser Beschluss hat somit eine Welle von Preiserhöhungen zur Folge, und das nicht nur im Dienstleistungsbereich, sondern auf dem gesamten heimischen Markt: der Preis für öffentliche Verkehrsmittel in Baku stieg um 33%, und am 31. Januar 2007 wurde beschlossen, den Wasserpreis um 40% zu erhöhen.

Obwohl die Regierung erklärt hat, die Erhöhungen würden nicht an die gesamte Volkswirtschaft weitergegeben, bekommt man die ersten Auswirkungen schnell zu spüren. Schritt für Schritt steigen die Preise der Produkte, die auf eine der genannten Energiequellen angewiesen sind. Am 1. Februar 2007 waren es die Zeitungen, die infolge einer Erhöhung der Druckkosten ihre Preise verdoppelt haben. Von diesem Preisschock sind die verschiedensten Sektoren der heimischen Volkswirtschaft betroffen: der Brotpreis hat sich verdoppelt, die Automobilpreise steigen. Insgesamt dürften alle Sektoren, die auf Energiepreise sensibel reagieren, nicht umhinkommen, ihre eigenen Preise zu erhöhen.

Die Argumente der Regierung – Anpassung an die Weltwirtschaft, Erhöhung der Staatseinnahmen, Kampf gegen den Schmuggel aserbaidschanischer Produkte – haben unabhängige Experten, die neben den sozialen Kosten vor allem das hohe Risiko einer galoppierenden Inflation betonen, kaum überzeugen können.

Apathie?

Die überrumpelte aserbaidschanische Gesellschaft hat sich nicht gerührt. Wenn sich die schlechte Stimmung bemerkbar macht, dann geht sie nicht über die Unterhaltungen zwischen Marschrutka-Fahrern und ihren Gästen hinaus. Für Demonstrationen scheint die Zeit nicht geeignet zu sein. Zwar haben einige Oppositionsparteien, so Musavat, ihre Empörung und ihre Sorge, das Land im Bankrott enden zu sehen, geäußert. Entgegen ihren Drohungen, Demonstrationen zu organisieren, hat bislang nichts stattgefunden, das über den Charakter von Erklärungen hinausginge.

Um die Unzufriedenheit im Zaum zu halten, hat die Regierung einige Maßnahmen zur Indexierung der Löhne ergriffen: am 1. Februar wurden die Gehälter der Staatsfunktionäre sowie die Renten und Mindestlöhne um 25% erhöht. Obwohl diese Lohnerhöhung – die vierte seit 1991 – durchschnittlich 50% beträgt – die letzte (2004) belief sich auf 10-12% - müssen die unternommenen Maßnahmen in den Augen der aserbaidschanischen Verbraucher blass erscheinen. Angesichts dieser Bedingungen hat sich die internationale Presse zu Recht gefragt, ob der Ausbruch einer kollektiven Wut nicht doch zu erwarten sei.

Die eiserne Faust des Alijew-Regimes scheint jedoch den Sieg davon zu tragen. Einige Tage nach der Preiserhöhung gibt es in Baku Gerüchte, dass ein Mann sich als Zeichen des Protestes vor dem Präsidentenpalast angezündet hätte. Die Information über diesen Zwischenfall, von dem zunächst umgehend in den Medien berichtet wurde, verschwand bereits am selben Abend aus der Berichterstattung der regimetreuen Medien.

Der Journalist Bachtiyar Hadschijew, der eine Kampagne gegen die Preiserhöhungen gestartet hatte, musste 12 Tage im Gefängnis verbringen, was weitere Proteste abschrecken sollte. Etimad, Mitglied einer studentischen NGO, ärgert sich über die Passivität seiner Landsleute: „Die Regierung kann machen, was sie will: In Aserbaidschan wird niemand reagieren. Keine Sorge, die ‘Granatapfel-Revolution’ wird sobald nicht kommen.”

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