mercredi 28 mai 2008

Zwei Referenden und zwei „Präsidenten“ in Südossetien

Artikel erschienen in caucaz.com am 26/11/2006
Von Nicolas LANDRU in Zchinwali, übersetzt von Gudrun STAEDEL-SCHNEIDER


© Zchinwali - Nicolas Landru

„Wir haben den ersten Schritt zur Wiedervereinigung von Süd- und Nordossetien gemacht,“ erklärte Eduard Kokoity, Präsident der nicht anerkannten Republik Südossetien am Tag nach der zweifachen Abstimmung in Zchinwali. Laut offiziellen Angaben der separatistischen Regierung in Südossetien sind 52.030 Personen, d.h. 94,6% der Wähler, zur Wahl gegangen, nach Präsident Kokoity eine historische Wahlbeteiligung. Beim Referendum haben diesen Angaben zufolge 99% für die Unabhängigkeit der separatistischen Republik Südossetien von Georgien votiert, 98% für eine weitere Amtszeit des scheidenden Präsidenten. Nach Angaben der Wahlkommission der Alternativwahlen, die auf dem unter georgischer Kontrolle stehenden Gebiet stattfanden, haben 42.000 Wähler ihre Stimme abgegeben, während die separatistische Regierung in Zchinwali nur 14.000 Wählerstimmen vermeldete. Der von Tbilissi favorisierte Dimitri Sanakojew hat laut Angaben der Wahlkommission ein Wählervotum von 88% erhalten, und laut diesen Angaben haben mehr als 90% für eine Rückkehr Südossetiens zu Georgien gestimmt.

Diese Ergebnisse sind keine Überraschung und weisen in die von den Machthabern der jeweiligen Seiten gewollten Richtung. In Südossetien sind per Volksabstimmung zwei außerhalb des internationalen Rechts stehende Machtzentren entstanden, das eine unabhängig und pro-russisch, das andere pro-georgisch. Die Legitimität von Kokoity wurde an den Urnen bestärkt, während Tbilissi eine neue politische Entität eingerichtet hat, um den Separatismus des Regimes von Kokoity zu konterkarieren. Die Konfrontation von zwei legitimierten Machtblöcken wurde erst in der Presse vom Montagmorgen deutlich: die russischen Medien ignorierten die Alternativwahlen, während die georgische Presse die Ergebnisse in Zchinwali kaum erwähnte.

Auf Südossetien lastet ein Legitimitätsvakuum. Als Folge des Konfliktes von 1990-91 zwischen Georgiern und Osseten wird ein Teil der Region von den Behörden der separatistischen Republik Südossetien kontrolliert. Der andere Teil steht unter militärischer Kontrolle von Tbilissi und hatte bisher keinen politischen Status. In Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärung von Südossetien hatte die Regierung Gamsachurdia den Status als autonome Region abgeschafft und den größten Teil Südossetiens in die Region Schida Kartli integriert. Die Einteilung der Kontrollzonen ist ein wahrhaftes Puzzle: die Georgier beherrschen die westlich und östlich von Zchinwali gelegenen Dörfer; neun georgische Dörfer trennen „die Hauptstadt“ vom Norden, der von ossetischen Milizen kontrolliert wird; sie liegen entlang der Straße, die Zchinwali mit der Ortschaft Dschawa, dem Roki-Tunnel und mit Nordossetien verbindet. Das eingeschlossene Zchinwali muss auf eine parallel verlaufende Straße ausweichen, die „Straße des Lebens“, um seine „Lunge“ zu erreichen, während die umliegenden georgischen Dörfer mit dem unter der Kontrolle Tbilissis befindlichen Gebiet durch einen einfachen Weg verbunden sind.

Die Region hat die geopolitischen und wirtschaftlichen Gegensätze in Georgien deutlich werden lassen. Die neue Regierung unter Michail Saakaschwili beschloss im Sommer 2004 Sofortmaßnahmen auf verschiedenen Ebenen. Um die Wirtschaft zu sanieren wurde der Markt von Ergneti geschlossen, der einen Absatzmarkt für Schmuggelware, aber auch für Agrarprodukte aus den Regionen von Zchinwali und Gori darstellte. Dieser riesige Schwarzmarkt bot auf neutralem Gebiet eine gute Möglichkeit des Austauschs, er war die einzige wirtschaftliche Gemeinsamkeit einer in zwei Teile geschnittenen Region. Mit seiner Schließung wurden alle Kontakte zwischen Georgiern und Osseten erschwert, was beide Seiten noch mehr entfremdete. In Zchinwali wie in Gori betrachten viele diese Schließung als einen schweren Schlag für die Region.

Die junge Regierung, die sich die Wiedererlangung der territorialen Einheit Georgiens zum Ziel gesetzt hatte, fühlte sich durch ihren Erfolg in Adscharien so stark, dass sie über einen Schlag gegen Zchinwali nachdachte. Doch diesen Gedanken musste sie unter internationalem Druck schnell wieder fallen lassen. Der Status quo wurde dadurch zementiert, und die allmähliche Verbesserung der Beziehungen wurde gestoppt. Seither ist die südossetische Frage mehr denn je ein Stein des Anstoßes in den russisch-georgischen Beziehungen. Tbilissi sieht darin eine Manipulation Moskaus, um das georgische Staatsgebilde zu untergraben. Russland, das in der separatistischen Republik überall präsent ist, setzt in seinen Auseinandersetzungen mit Georgien verschiedene Facetten des Konfliktes ein, wie z.B. die Idee eines ossetischen Völkermordes.

Referendum und Gegenreferendum

In diesem Zusammenhang stellen die Abstimmungen vom 12. November 2006 einen wichtigen Wendepunkt dar. In Zchinwali verband die Regierung von Kokoity die Präsidentschaftswahl mit einem Referendum über die Frage: „Wollen Sie, dass die Republik Südossetien seinen gegenwärtigen Status als unabhängiger Staat behält und von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird?“. Die Abstimmung über diese Frage dient vor allem der Legitimierung der gegenwärtigen Regierung, obwohl bereits beim Referendum vom Januar 1992 98% aller Stimmen für die Unabhängigkeit votierten. Wurde dieses erneute Referendum von Russland oder von Kokoity durchgesetzt? Auch wenn der Kreml das Referendum unterstützt, so erklärt er doch immer, dass er nicht die Absicht habe, die Republik anzuerkennen. Der tatsächliche Initiator der Wahlinszenierung bleibt unklar.

Aber die tatsächlich neue strategische Initiative scheint aus Tbilissi zu kommen. Geschwächt durch den Mangel an territorialer Einheit scheint Georgien nicht in der Lage zu sein, diese durch Gewalt zu erreichen. Darauf scheint auch die Kabinettsumbildung zwei Tage vor der Abstimmung hinzuweisen, die Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili sein Amt kostete – dem Verfasser der kriegerischsten Reden der Regierung. Eine Konzession an den Kreml, obwohl Saakaschwili sich dagegen verwahrt? Wie dem auch sei, die georgische Regierung hat eine neue Strategie entwickelt, indem sie alternative Wahlen auf dem unter georgischer Kontrolle stehenden Konfliktgebiet abhielt. Das Dorf Eredwi war Sitz einer Wahlkommission, die für denselben Tag nicht nur ein paralleles Referendum, sondern auch die Wahl eines Präsidenten für diesen Teil Südossetiens organisiert hat. Die Kampagne, die von der kürzlich in Tbilissi gegründeten NGO Union für das Wohl der Osseten angekündigt wurde, sollte ursprünglich die gleiche Frage stellen wie diejenige aus Zchinwali, aber auf den Stimmzetteln stand dann schließlich: „Wollen Sie, dass Südossetien Gespräche mit Tbilissi aufnimmt mit dem Ziel, einen Bundesstaat mit Georgien zu bilden?“

Auch ein Wahlkampf um die Präsidentschaft wurde organisiert, mit fünf ossetischen Kandidaten, die bei Kokoity in Ungnade gefallen waren und die sich an Tbilissi gewandt hatten. Obwohl beide Abstimmungen für illegal erklärt wurden, ist klar, dass die georgische Regierung die Wahl eines ossetischen Präsidenten in der von Georgiern bewohnten Konfliktzone angeregt hat. Gewinner der Parallelwahl war Dimitri Sanakojew, früherer Ministerpräsident unter Präsident Tschibirow und einer der Anführer der separatistischen südossetischen Organisationen Ende der 1980er Jahre. Er wird in Kurta residieren, einem der neun georgischen Dörfer, die zwischen Zchinwali und dem Dschawa-Landkreis eingeschlossen sind, mithin an einem strategischen Ort.

Die Schaffung einer zweiten Regierung in Südossetien

Die Alternativwahlen, die Tbilissi abgehalten hat, haben damit eine zweite autonome Entität neben Zchinwali geschaffen, eine, die pro-georgisch ist und die trotz allem dem Wählerwillen auch von Südosseten repräsentiert. Der Präsident der Wahlkommission in Eredwi, Urusmag Karkusow, betonte, dass die von Zchinwali organisierten Wahlen diskriminierend waren, weil sie sich nicht an die Georgier Südossetiens, noch nicht einmal an alle Osseten richteten. Dimitri Sanakojew und Maja Tschigojewa-Dsaboschwili, eine der vier anderen Kandidaten, prangerten die pro-russische Ausrichtung der Kokoity-Regierung an. Sie unterstellten Zchinwali, dass die Frage ursprünglich gelautet hätte: „Wollen Sie die Unabhängigkeit Südossetiens und seine Ausrichtung auf Russland beibehalten?“ Sanakojew erklärte, dass er für den Frieden arbeitete, weil er Präsident eines multiethnischen Südossetien sei. Er stellte sich als Arbeiter für eine Verständigung mit dem georgischen Staat dar. Auch wenn er von einer überwiegend georgischen Wählerschaft gewählt worden sei, so sei er doch Ossete und könnte daher für sich die gleiche Legitimität in Anspruch nehmen wie Kokoity. Seine als diktatorisch und korrumpiert bezeichnete Regierung wäre daher nicht mehr die einzige Alternative für die Osseten.

Demgegenüber bezeichnet Kokoity die Alternativwahlen als Provokation aus Tbilissi. Moskau erklärte sie für illegal und bezeichnete sie als von Tbilissi organisierte Destabilisierung – während die Wahl von Zchinwali „vollkommen legal gemäß der Verfassung von Südossetien“ sei.

In den Straßen von Zchinwali überbieten sich Plakate mit Kindern, Fußballjugendmannschaften und anderen Jugendgruppen, die für die Zukunft der ossetischen Nation werben. Auch Mitglieder nordossetischer Organisationen hielten sich während der Wahlen in Zchinwali auf, und einige Werbungen richteten sich an sie, darunter eine, die ein Kind in traditioneller Rüstung zeigt, das mit dem Schwert in der Hand ein Tal bewacht. Darunter kann man lesen: „Lasst uns Groß-Alanien aufbauen!“ (das mythische Ossetien). „Wenn alle Völker des Kaukasus das Recht auf einen eigenen Staat haben, warum dann nicht wir, die ossetische Nation?“, fragt der 32jährige Alan. „Eine solche Unabhängigkeit ist zur Zeit für die Nordosseten in Russland unmöglich,“ fügt er hinzu, „wir müssen ihnen den Weg zeigen.“

Das Hauptthema in Zchinwali sind die massiven Angriffe, die die georgischen Behörden in der Vergangenheit organisiert haben, und die fehlenden Sicherheitsgarantien, die diese bieten. Hinzu kommt, dass die russischen Pässe, Renten und Gehälter wesentlich vorteilhafter sind als die georgischen. Die gegenwärtigen russisch-georgischen Beziehungen verlocken niemanden zu einer Union mit Georgien.

Hin zu einem bewaffneten Frieden?

Die Europäische Union, die NATO und die USA haben deutlich darauf hingewiesen, dass die beiden Wahlen illegal seien, und kein Land hat sich bereit erklärt, eine südossetische Unabhängigkeit anzuerkennen, die die territoriale Einheit Georgiens verletzt. Die Eskalation der diplomatischen Spannungen am Vorabend der Wahlen könnte an eine drohende Konfrontation denken lassen. Die wechselseitigen Anschuldigungen über die Vorbereitung von Attentaten während der Wahlen haben sich allerdings nicht bewahrheitet und es gab keine größeren Truppenbewegungen. Auch lassen die Kabinettsumbildungen auf beiden Seiten mögliche Änderungen der Strategie erkennen: der bewaffnete Konflikt scheint ein weiteres Mal vermieden. Hat Russland die Absicht, sich der südossetischen Last zu entledigen? Haben russisch-georgische Verhandlungen begonnen? Wird der Konflikt nach der Einsetzung von zwei Regierungen in zwei Südossetien neu aufflammen?

Es ist sicher, dass die Gegebenheiten des „eingefrorenen Konfliktes“ sich geändert haben und dass Tbilissi sich für ein Auftauen des Konflikts aktiv engagiert. Bedeutet dies eine friedliche oder eine bewaffnete Entwicklung des Status quo? Die Etablierung einer zweiten Macht auf dem von Tbilissi kontrollierten Gebiet und die Haltung der Regierung Kokoity ihr gegenüber wird dies schnell zeigen. Ebenso die Fähigkeit des Gegenpräsidenten Dimitri Sanakojew, sich gegenüber den Osseten als legitimer Präsident zu erweisen – weil er für den Augenblick über ein von Georgiern bewohntes Gebiet herrscht. Kokoity wurde wohl mit 98% der Stimmen gewählt. Aber die Gewichte können sich in dieser Region schnell ändern. Allerdings ist es auch möglich, dass der Status quo nur eine neue Form angenommen hat, wenn die internationalen Akteure nicht in der Lage sind, die Verhandlungen an den neuen Gegebenheiten auszurichten.

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