jeudi 29 mai 2008

Engel und Heilige : politische Inszenierungen im nachrevolutionären Georgien

Artikel erschienen am 18/01/2007
Von Birgit KUCH, (Graduiertenkolleg „Bruchzonen der Globalisierung“ / Institut für Theaterwissenschaft, Universität Leipzig) in Tbilisi


© Birgit Kuch ("Monument der Freiheit" in Tbilissi)


Am 23. November hat Tbilissi ein weiteres Denkmal bekommen: das neue „Monument der Freiheit“, mit der golden funkelnden Figur des Heiligen Georg , ist 40 Meter hoch, befindet sich mitten auf dem „Freiheitsplatz“ im Zentrum der georgischen Hauptstadt und wurde vom georgischen Präsidenten Michal Saakaschwili im Rahmen der Feierlichkeiten zum dritten Jahrestag der Rosenrevolution eingeweiht. Ob Zufall oder nicht, war es der 23. November 2003, nach dem orthodoxen Kirchenkalender der Feiertag des Heiligen Georg, an dem der frühere georgische Präsident Eduard Schewardnadse seinen Rücktritt erklärt hatte. Seitdem fällt der christliche Feiertag „Giorgoba“ in Georgien mit den Feiern zum Sieg der Rosenrevolution zusammen, die zahlreiche theatrale Elemente aufweisen, und die es Saakaschwili regelmäßig ermöglichen, verschiedene Bündnisse und Verknüpfungen zu demonstrieren.

Politische Inszenierungen im öffentlichen Raum sind Mittel, derer sich die zeitgenössische georgische Führung auffallend oft bedient. Da darstellende Künstler meist direkt beteiligt sind, kann man diese Inszenierungen als Teil der theatralen Landschaft im post-sowjetischen Georgien begreifen. Doch auch im Theater selbst wird die Gegenwartspolitik auf den Bühnen unmittelbar kommentiert. Ein Zeichen dafür, wie stark die heutige georgische Gesellschaft auf Politik fokussiert ist, in einem Land, wo politische Entscheidungen direkten Einfluss auf die Lebensbedingungen nehmen. Zwei Extrembeispiele:

Heilige

Den Auftakt zu den Revolutions-Feierlichkeiten in diesem Jahr bildete ein Gottesdienst zu Ehren des Heiligen Georg in der Sameba- (Dreieinigkeits-) Kathedrale, in dessen Verlauf Saakaschwilis Sohn Nikolosi vom Patriarchen Ilia II getauft wurde. Als Taufpaten fungierten hierbei der ukrainische Präsident Viktor Juschtchenko und Nino Ananiaschwili, Primaballerina und Ballettmeisterin der Oper von Tbilissi. Mit diesem Akt erreichte der georgische Präsident eine mehr als symbolische, nahezu familiäre Verflechtung mit der Kirche, daneben mit dem prominentesten Anführer einer der „farbigen Revolutionen“ und wichtigstem Verbündeten in der GUS-Welt und nicht zuletzt, mit den Kulturschaffenden Georgiens, indem er als Taufpatin das bekannteste Gesicht der Oper von Tbilissi einsetzte.

Nach feierlichen Ansprachen im georgischen Parlament, wo die als Ehrengäste geladenen Regierungsvertreter aus Polen, der Ukraine und Estland die Unterstützung ihrer Länder für Georgien bekundeten, fand die Einweihung des „Monuments der Freiheit“, ein Geschenk des in Russland wirkenden, georgischstämmigen Bildhauers Surab Zereteli, statt. In seiner Rede zur Einweihung des Monuments, dessen Grundsteinlegung bei der Rosenrevolutionsfeier vom letzten Jahr unter Mitwirkung von Juschtchenko stattgefunden hatte, und dessen Errichtung eigentlich schon für den Frühling dieses Jahres anvisiert war, sagte Saakaschwili, zu Einheit und Geduld im Land aufrufend:

„Der heilige Georg wird ein geeintes, starkes und ehrenvolles Georgien in die letztendliche Freiheit führen. Georgien wird geeint sein.“ Außerdem erklärte er, auf die mittelalterliche Schlacht von Didgori, anspielend, dass Georgien auf dem Weg in die Freiheit an einem Punkt sei, wo es keine Umkehr gäbe. „Diejenigen, die Georgien in die Knie zwingen wollen, werden bald erkennen, dass sie versagen, und wir erstarken werden.“ Und, auf den Kampf des Heiligen mit dem Drachen, der in Zeretelis Statue dargestellt wird, verweisend: „Das Gute wird immer über das Böse siegen. Heute baut Georgien einen modernen europäischen Staat auf.“

Auch bei der Einweihung des Monuments konnte die Verbindung von Religion, Kunst und Politik erfolgreich inszeniert werden; und das vor allem für das Fernsehpublikum: mehrere TV-Stationen übertrugen die Feierlichkeiten live auf die Bildschirme, man konnte Ilia II und Regierungsmitglieder auf der Tribüne hinter Saakaschwili und vor ihm das jubelnde, Kinder und Flaggen haltende Volk betrachten, während sich bei einer Besichtigung des Ortes nach der Einweihung erwies, dass dem Durchschnittsbürger der Zugang zum Tribünenbereich in großzügiger Absperrung verwehrt blieb. Ausgesuchte Gesichter also zur Einweihung des „Monuments der Freiheit“. Was bedeutet eigentlich Freiheit in diesem Kontext?

Dennoch gibt es seit seiner Grundsteinlegung auch zahlreiche Kritiker des Monuments: viele empfinden es als zu pompös, fragen, wer wohl der Drachen sei, den Georg da töte, man munkelte sogar, dass das letztendliche Aufstellen der Statue, das immer wieder verschoben wurde, ein Anpfiff zum Krieg gegen die abtrünnigen Gebiete sein würde. Schärfste Kritik kommt jedoch aus orthodoxen Kreisen selber, die darauf verweisen, dass es nach den Regeln der Kirche verboten sei, Statuen von Heiligen anzufertigen.

Schließlich bekundeten auch die Künstler ihre Loyalität gegenüber dem Präsidenten: Das Abschlusskonzert wurde vom Opernchor mit der Arie „Gloria“ aus der Oper „Aida“ eröffnet; weitere Interpreten sangen für Vaterland und Revolution, und das georgische Nationalballett tanzte den Kriegstanz „Khorumi“, wie schon im letzten Jahr. Allerdings ließen die Suchischwilebi diesmal die brennenden Fackeln weg, und die Veranstaltung, die in diesem Jahr bescheidener ausfiel, wurde nach ca. 45 Minuten mit einem Feuerwerk beendet. Die hierbei demonstrierte Nähe der Künstler zur Politik ist ein aus der Sowjetzeit bekanntes Phänomen. Im heutigen Georgien ist es auch nicht unüblich, öffentlich-politische Feiern, wie zum Beispiel die Amtseinweihungszeremonie von Saakaschwili im Januar 2004 von Theaterregisseuren gestalten zu lassen. Ein wichtiger Unterschied besteht jedoch zu früher, wie das Beispiel der diesjährigen Rosenrevolutionsfeier zeigt: Es braucht dazu nicht mehr die physische Mitwirkung der werktätigen Massen, die Inszenierung findet für die Kameras statt.

Engel

Doch nicht alle Künstler stehen hinter Saakaschwili. Zwei Tage nach den Feiern zur Rosenrevolution wurde im Rustaweli Staatstheater Robert Sturuas regierungs- und gesellschaftskritische Inszenierung „Soldat, Liebe, Leibwächter und … der Präsident“, aufgeführt. Im ersten Akt sehen wir einen vom Krieg gezeichneten jungen Soldaten, der, auf Krücken holpernd, immer wieder die aktuelle, von Saakaschwili zu seiner Amtseinweihung eingeführte Nationalhymne schreiend vorträgt, bis er auf die Engel stößt, die aus welchem Grund auch immer, von Gott nach Georgien geschickt wurden. Sich immer wieder gegenseitig über ihren Ankunftsort versichernd („Sakartwelo!“, „Georgia?“), wobei ihnen der Soldat behilflich ist, in dem er ihnen Städtenamen nennt, erschrecken sich die Engel bei der Erwähnung von Stalins Geburtsort Gori, wenn gleichzeitig ein Scheinwerfer auf die lebensgroße Figur des Diktators schwenkt, die bis zum Ende der Aufführung hinunter auf das Geschehen schaut. Was folgt, ist des Soldaten Kampf mit dem Hauptengel, der ihm sein Bein wiederholt heilt und abermals bricht, und einen Witz ankündigt, den er nie zu Ende erzählt. Auch die sich berührenden Finger aus Michelangelos Allegorie der „Erschaffung Adams“ werden ironisch zitiert. Schließlich werden die drei Engel, die den Hauptengel nach Georgien begleitet hatten, auf Beschluss von Oben entlassen, dem Betteln preisgegeben, bis sie in den zweiten Teil der Inszenierung überleitend, als Sekretärinnen am Hofe des Präsidenten wieder aus der Versenkung auftauchen. Der Hauptengel nimmt statt ihnen die Frau des Soldaten mit in den Himmel, die ihrem Mann das Neugeborene hinterlässt. Auch der Soldat, fortan mit Kinderwagen, wird im zweiten Akt für den Präsidenten arbeiten.

Am Hofe des paranoiden Präsidenten, dessen Darsteller eine wirklich verblüffende Ähnlichkeit mit Saakaschwili aufweist, wird der neue Leibwächter, ein Neffe eines der Minister, eingeführt. Nein, er könne kein Englisch, aber lerne es, antwortet er auf die Frage des Präsidenten nach seinen Sprachkenntnissen. Diese, und andere Anspielungen machen deutlich, dass die Inszenierung auf heutige georgische Verhältnisse abzielt. Problematisiert wird der Verfolgungswahn eines unfähigen und manipulierbaren Diktators, dessen Bodyguard den Zahnarzt überrumpelt, wenn er dem Präsidenten vor der Behandlung eine schmerzstillende Spritze verabreichen will. Während der Szene pfeifen Bomben und fallen Schüsse, die aber vom Hofstaat ignoriert werden. Der von außen angreifende Feind wird im inneren gesucht: dem als Vaterlandsverräter deklarierten Zahnarzt werden erst die Finger gebrochen, dann wird er exekutiert. Er wird nicht das einzige Opfer bleiben, später bringt der Leibwächter den ganzen Hofstaat, einschließlich sich selbst und den Präsidenten, um. Nur einer im Staat bleibt übrig, und krönt sich selbst mit Engelsflügeln.

Saakaschwili als Diktator also? Die Inszenierung des georgischen Starregisseurs lässt sich so verstehen. Dass man im heutigen Georgien aber vom durch Sturuas Arbeit suggerierten Modell der südamerikanischen Diktaturen noch weit entfernt ist, zeigt die Möglichkeit für eine solche Aufführung in einem Staatstheater. Weitaus interessanter sind die vielen kleinen Anspielungen auf die zeitgenössische Realität, wie Militarismus, Veränderungswahn oder die Allegorien mit den Engeln. Doch auch Sturua wird für diese Theaterarbeit mitunter kritisiert, und die finanziellen Sorgen des Theaters haben sich seit der Premiere vom 27.11.2005 vermehrt. Besonders unzufrieden ist der Autor des Stückes, Lascha Bugadse, der erklärt, dass die beiden Teile aus einem Stückezyklus von 25 Minidramen und somit aus ihrem Zusammenhang gerissen wurden. Sie wären jeweils für eine Spieldauer von ca. 15 Minuten konzipiert gewesen, und nicht für ein abendfüllendes Programm von fast drei Stunden. Außerdem hätte er die Texte schon 1998 geschrieben, sie gehörten also in eine andere politische Zeit, erläutert Bugadse. Und auf Sturuas Beliebtheit beim russischen Publikum anspielend, sagt er schließlich: „Ich möchte eigentlich nicht zusammen mit den Russen über meinen Präsidenten lachen.“

Mehr über Birgit Kuch : http://www.uni-leipzig.de/ral/gchuman/index.php?option=com_content&task=view&id=218&Itemid=63&lang=german

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